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Politik

Nur ein wahrer Freund ist ehrlich

Erkan Arikan Kommentarbild App
Erkan Arikan
16. Oktober 2021

Es ist wohl der letzte Besuch von Kanzlerin Merkel in Istanbul. Sie hätte die Gelegenheit gehabt, auch unangenehme Themen auf den Tisch zu bringen. Doch die blieben leider aus. Eine vertane Chance, findet Erkan Arikan.

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Präsident Erdogan und Kanzlerin Merkel
Gespräch unter wahren Freunden? Präsident Erdogan und Bundeskanzlerin MerkelBild: Turkish Presidency/AP/picture alliance

Als vor knapp 10 Tagen bekannt wurde, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrer Abschieds-Roadshow auch die Türkei besuchen werde, fragte ich mich, "warum macht sie das?" Will sie endlich mal Tacheles mit Erdogan sprechen? Vielleicht wäre es in der Tat die finale Chance, dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan mal alles zu sagen, was ihr in den vergangenen Jahren so auf dem Herzen lag. Denn ein türkisches Sprichwort sagt: "Nur ein wahrer Freund ist ehrlich und spricht auch unangenehme Dinge an!" Bei der gemeinsamen Pressekonferenz kamen allerdings - wieder - nur die üblichen "freundschaftlichen Bekundungen" zu Tage. Die Türkei sei ein wichtiger Partner und das EU-Türkei-Abkommen zur Steuerung der Migration in Europa solle fortgeführt werden, so Merkel. Erdogan betont, dass man mit der künftigen Bundesregierung ebenfalls gut zusammenarbeiten wolle. Wer kritischere Aussagen der Kanzlerin erwartete, wurde bitter enttäuscht.

Viele Themen, wenig Substanz

Erkan Arikan
Erkan Arikan, Leiter der türkischen Redaktion der DWBild: DW/B. Scheid

Seit ihrem Amtsantritt 2005 habe Erdogan einen engen, von gegenseitigem Respekt geprägten Dialog aufgebaut, sagte er. Seitens Merkels kann das bestimmt bejaht werden. Doch der türkische Regierungschef hat oft auf Merkel und Deutschland geschimpft. Immer wieder Rassismus gegenüber der Türkei-stämmigen Bevölkerung in Deutschland angeprangert. Nicht zu vergessen seine immer währenden Drohungen, die türkischen Grenzen zu öffnen, damit weitere Flüchtlinge den Weg nach Europa gehen. Jetzt sagte Erdogan, Merkel habe bei ihren gemeinsamen Treffen in den vergangenen 16 Jahren stets eine besonnene und lösungsorientierte Herangehensweise gezeigt. Und unter ihrer Führung seien die Krisen, die die Europäische Union während ihrer Amtszeit durchgemacht habe, gut gemeistert worden. Genau hier hätte die Kanzlerin den Finger heben und sagen müssen: "Ja, das habe ich. Und was haben Sie getan, Herr Staatspräsident?" Natürlich hätte Merkel so etwas niemals getan. Leider. Die Kanzlerin tritt jedem Problem und jedem Staatschef immer pragmatisch und besonnen gegenüber. Pragmatisch und lösungsorientiert  - diese Eigenschaften würde man gerne auch vom türkischen Staatspräsidenten erwarten.

Kanzlerin Merkel: ein Paradebeispiel für Diplomatie

Viele Menschen, ob in der Türkei oder auch in Deutschland, hätten sich bei diesem letzten Treffen gewünscht, dass auch endlich Themen angesprochen werden, die nur Freunde untereinander bereden. Dass die Kanzlerin die Situation von in der Türkei inhaftierten deutschen Staatsbürgern angesprochen hat, mag positiv sein. Aber das reicht nicht. Denn nach Angaben des Auswärtigen Amts liegt die Zahl deutscher Häftlinge in der Türkei im "mittleren zweistelligen Rahmen". "Wir haben manchmal sehr unterschiedliche Betrachtungen, wann der Terrorismusvorwurf gilt", sagte Merkel. Damit reagiert sie wie ein Paradebeispiel für Diplomatie.

"Wir wissen alles, denken darüber aber anders". Natürlich muss man der Kanzlerin hier Recht geben. Für den türkischen Staatspräsidenten ist nämlich jeder, der ihn oder seine Regierung kritisiert, ein Terrorist. Jeder der sein Geld in Devisen anlegt - ein Terrorist. Nahezu jeder Politiker der Opposition - ein Terrorist. Mediziner, die manche COVID-Maßnahme als zu gering kritisierten - sind Terroristen. Studenten, die auf fehlende Wohnheime und Unterkünfte hinweisen - auch Terroristen. Und die Journalisten, die nicht den bis zu 95 Prozent gleichgeschalteten türkischen Medien angehören - sie sind ebenfalls Terroristen. Von der Kanzlerin hätte ich erwartet, dass all diese Themen - Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit - in der Pressekonferenz angesprochen werden. Denn wie gesagt: "Nur ein wahrer Freund ist ehrlich und spricht auch unangenehme Dinge an!"