"Kurzes Fazit zu Genf heute: Es hätte schlimmer sein können." Samuel Charap, Russland-Experte der US Rand Corporation und eine der lautesten Stimmen des Westens, die sich dafür aussprechen, Putin "entgegenzukommen", versuchte mit diesen Worten, den Gesprächen zwischen der amerikanischen und der russischen Delegation am Montag eine positive Wendung zu geben.
Aber Samuel Charap liegt falsch.
Putins Zeitplan
Es war klar, dass der Kreml die Gespräche über Putins Forderungen - insbesondere in Bezug auf die "Sicherheitsgarantien" der USA und der NATO - niemals so schnell platzen lassen würde. Putin ist dafür bekannt, dass er sein Image als unberechenbar und gefährlich schätzt. Aber er weiß auch, dass er, um überzeugend zu wirken, nach den Regeln der internationalen Staatskunst spielen muss. Deswegen muss er das Bemühen unter Beweis stellen, seine westlichen Gegner zu überzeugen.
Selbst wenn er nach wie vor einen neuen Angriff auf die Ukraine plant, muss er diesen als Ergebnis der westlichen Unnachgiebigkeit tarnen. Denn nur so kann er das gegenüber der russischen Öffentlichkeit als auch gegenüber denjenigen im Westen rechtfertigen, die noch bereit sind, seinen Argumenten zuzuhören.
Für Mittwoch ist eine Sitzung des NATO-Russland-Rates in Brüssel geplant, am Donnerstag eine weitere mit der OSZE. Für Moskau sind jedoch die Gespräche mit der US-Regierung vom Montag von vorrangiger Bedeutung. Man kann mit ziemlicher Sicherheit vorhersagen, dass es noch mehrere Runden diplomatischer Gespräche geben wird, bevor Putin beschließt, den Stecker zu ziehen - oder die Gespräche fortzusetzen, wenn er das Gefühl hat, dass zumindest ein Teil seiner Wünsche erfüllt wird.
Keine Kompromisse
Putins Gesandter in Genf, der stellvertretende Außenminister Sergej Rjabkow, betonte nach Abschluss der Gespräche mit seiner US-amerikanischen Amtskollegin Wendy Sherman, Moskau erwarte von der NATO nach wie vor "unumstößliche" Garantien, dass die NATO die Ukraine und Georgien niemals als Mitglieder aufnehmen und ihre Aktivitäten in Mittelosteuropa sowie den baltischen Staaten einschränken werde. Russische Offizielle wiederholen immer wieder, dass es bei diesen Forderungen keinen Kompromiss geben könne. Doch US-Vertreter haben diese Forderungen ihrerseits wiederholt als inakzeptabel bezeichnet.
Washington besteht darauf, dass nicht über die Ukraine ohne die Ukrainer und über die NATO ohne alle ihre Verbündeten diskutiert wird. Es ist nur bereit, mit Moskau über eine gegenseitige Verringerung der Zahl der Militärübungen sowie über "vertrauensbildende Maßnahmen" zu sprechen - ein diplomatischer Begriff für Transparenz und Meldeverfahren zur Vermeidung militärischer Zusammenstöße.
Die Amerikaner scheinen auch bereit zu sein, die Chance eines neuen Abkommens über Mittelstreckenraketen auszuloten. Das könnte an die Stelle des Abkommens treten, aus dem die USA 2019 ausgestiegen sind, nachdem sie behauptet hatten, dass Russland dagegen verstoßen habe.
Der Kreml behauptet jedoch, dass diese Fragen nichts mit den Sicherheitsgarantien zu tun hätten, die er kurzfristig erhalten möchte. Rjabkow wies daher alle Versuche der USA zurück, auf einen Rückzug der an der ukrainischen Grenze zusammengezogenen russischen Streitkräfte zu drängen.
Die Optionen des Kremls
Als erfahrenem Politiker war Putin die Reaktion der USA schon klar, bevor er im vergangenen Dezember sein Ultimatum stellte. Was er will, ist entweder ein völliges Scheitern der Gespräche mit den USA und der NATO, damit er die Ukraine bedrohen und die sogenannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk anerkennen kann. Oder er versucht, sich weiteres ukrainisches Territorium anzueignen, während er gleichzeitig behauptet, dies sei alles auf die Unnachgiebigkeit des Westens zurückzuführen. Natürlich würde dies weitere internationale Sanktionen nach sich ziehen, aber Putin ist wohl inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass Russland ihnen widerstehen kann.
Eine weitere Option für den Kreml wäre es, die Verhandlungen mit den USA und ihren europäischen Verbündeten auszuweiten und auch Themen wie Russlands Unterstützung bei der Eindämmung der Taliban-Bedrohung in Zentralasien oder die Arbeit an einem neuen Atomabkommen mit dem Iran zu behandeln. Dann könnte Russland eine neue Reihe modifizierter Forderungen stellen, die sich auf die Ukraine und die NATO konzentrieren.
Moskau kann außerdem darauf hoffen, dass seine europäischen Fürsprecher für mehr Zugeständnisse plädieren. Die bevorstehenden Gespräche mit dem neuen deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz bieten bald Gelegenheit, die Standfestigkeit des wichtigsten US-Verbündeten in Europa zu testen.
Unwahrscheinlich ist, dass Putin sich einfach mit dem Standardmenü der amerikanisch-russischen Abrüstungsgespräche zufrieden gibt - denn darüber hätten die Amerikaner ohnehin mit ihm gesprochen.