Geologisch sind keine aktiven Vulkane aus Südafrika bekannt. Politische Eruptionen aber um so mehr. Südafrikas Geschichte ist eine Geschichte der Gewalt: politischer Gewalt, rassistischer Gewalt, ethnisch instrumentalisierter Gewalt, sozialer Gewalt, krimineller Gewalt. Die Grenzen sind seit jeher fließend. Es braucht nicht viel, um einen Vulkanausbruch auszulösen.
Seit Jahren kommt es immer wieder zu sogenannten Social Delivery-Protesten: die Wut über schlechte Versorgung und korrupte Staatsdiener entlädt sich in den Kommunen in Straßenschlachten und wahlloser Gewalt. Ein andermal reichen Gerüchte und Hetzreden, um bewaffnete Mobs gegen Einwanderer zu mobilisieren.
Diesmal war die Inhaftierung von Ex-Präsident Jacob Zuma der Auslöser.
Ethno-Faktor zurück in der Politik
Sein ehemaliger Geheimdienstchef für Sondereinsätze, Thulani Dlomo, soll der maßgebliche Drahtzieher der aktuellen Unruhen sein, die in Zumas Heimatprovinz KwaZulu-Natal begannen. Wie der Chef einer Königsgarde befehligt Dlomo eine Zulu-Privatarmee. Zuma hat den Ethno-Faktor zurück gebracht in die Politik. Schützend warf sich seine Leibgarde vor ihn, als er sich dem Arm des Gesetzes verweigerte - ausgerechnet in seinem mit Steuergeldern finanzierten Luxusanwesen in Nkandla, das rechtschaffenen Menschen als Mahnmal der Korruption gilt. Polizisten waren nirgends zu sehen. Als Zuma sich dann doch den Behörden stellte, konnte man live im Netz verfolgen, wie sich die Anarchie entfaltete und von KwaZulu-Natal auf die Provinz Gauteng mit den Metropolen Johannesburg und Pretoria überschwappte.
Und dennoch haben die Unruhen nur noch wenig mit Zuma zu tun. Mit dem von ihm etablierten System aber schon: Unter ihm ist der Staat dysfunktional geworden. Geheimdienste, Polizei, Strafverfolgungsbehörden sind von Getreuen unterwandert. Die Regierungspartei ANC ist politisch wie ethnisch gespalten, gelähmt und offenbar nicht mehr reformierbar.
Unruhen gefährden Impfkampagne
Präsident Cyril Ramaphosa hat einigen Spezialeinheiten und Ermittlungsbehörden ihre alte Bestimmung zurückgegeben. Dass Zuma hinter Gittern sitzt und sich einige seiner engsten Verbündeten in den Zangen der Justiz befinden, hätte bis vor kurzem niemand für möglich gehalten.
Und dennoch zeigt die wilde Anarchie der letzten Tage, dass der Staat weiterhin nicht funktioniert. Zu den über 70 Toten der aktuellen Gewaltwelle kommen täglich fast 700 Corona-Tote und 12.000 Neuansteckungen. Den verhängten Lockdown können die Sicherheitskräfte kaum noch durchsetzen. Plünderungen und Brandschatzungen gefährden die Impfkampagne und verhindern konzertierte Hilfslieferungen. Der Sozialstaat ist nachhaltig korrumpiert, wichtige Staatsbetriebe sind durch Korruption und Missmanagement am Boden. Nach 16 Monaten Corona ist die wirtschaftliche Substanz verbraucht.
Geplünderte Supermärkte, Apotheken und Betriebe kommen nun noch hinzu. Tausende kleine Geschäftsinhaber sind um ihre Existenz gebracht. Auch der informelle Sektor, unregistrierte Kleinhändler und Mini-Dienstleister, die in besseren Zeiten fast die Hälfte der Südafrikaner ernährten, kollabiert. Was sich entlädt ist kriminell, wutentbrannt, hier und da vielleicht orchestriert, aber oft auch die blanke Not.
Rettung in Eigeninitiative
Präsident Ramaphosa steckt im Dilemma. Die von ihm aufwändig umworbenen Investoren werden nun erst recht einen Bogen um Südafrika machen. Die Kapitalflucht wird sich beschleunigen, das Wirtschaftswunder ausblieben.
Ein kleiner Lichtblick ist, dass sich die Unruhen bisher auf zwei der neun Provinzen beschränken. Und Hoffnung machen einmal mehr die Südafrikaner selbst, die dort wo der Staat versagt, Eigeninitiative ergreifen. In mehreren Städten und Townships bildeten sich spontane Menschenketten, um Geschäfte zu beschützen. In der Hauptstadt Pretoria rief ein Taxi-Verband seine Minibus-Fahrer auf, sich Plünderern in den Weg zu stellen. In Sowetos größtem Einkaufszentrum, der Maponya-Mall, die einst Nelson Mandela persönlich eröffnete, hielten besorgte Anwohner Nachtwache. Inzwischen hat auch die Armee eingegriffen, und vom Polizeiminister kommen starke Worte. Möglicherweise geht auch diese Eruption schnell wieder vorbei. Aber der soziale Vulkan brodelt weiter.