Nicht wenige Beobachter sehen den Katholikentag am Ende - zumindest in dieser Form der Großveranstaltung, bei der Zehntausende zu einem vielfältigen Fest des Glaubens zusammenkommen. Aber diese Skepsis ist nicht neu. Die Teilnehmerzahl des Katholikentags hat über die Jahre immer stark geschwankt. 1982 waren es 200.000, 1996 ließen ihn die Veranstalter ganz ausfallen.
Danach ging es, teils mit großem Zulauf, weiter. Doch so wenige wie dieses Jahr waren es seit 1970 nicht mehr. Mit den Nachwirkungen der Corona-Pandemie - preiswerte Massenquartiere in Turnhallen etwa gab es diesmal nicht - ist das nur teilweise zu erklären.
Engagement trotz Missbrauchs?
Wichtiger scheint die Überlegung viele Gläubiger: Wieso sollte man nach Stuttgart reisen in Zeiten, in denen Woche für Woche neue Absurditäten zur kirchlichen Macht bekannt werden? Missbrauch, Vertuschung, mangelnde Aufarbeitung. Auf den Punkt brachte es Johanna Beck, die selbst Opfer von Missbrauch ist und sich doch weiter in Kirche engagiert: "Die Kirchenvertreter denken häufig: 'Wir sind schon sehr weit.' Aber wir sind noch am Anfang."
Beck sagte das auf einem der vielen Podien, die auf den Skandal des Missbrauchs und die schleppende Aufarbeitung schauten. Der große Zulauf gerade dieser Veranstaltungen zeugt davon, wie es Katholikinnen und Katholiken quält, wie übergriffig und verbrecherisch klerikale oder geistliche Macht ausgenutzt worden ist. Nicht nur Minderjährige, sondern auch - das wird allmählich deutlicher - Erwachsene wurden zu Opfern.
Ehrlich Macht abgeben
Damit sich Menschen weiter in der katholischen Kirche engagieren, muss sie ehrlich werden und sich verabschieden von der Macht einer kleinen Kaste. Im Kirchendeutsch ist das der "Synodale Weg". Tatsächlich schreitet dieser Dialogprozess in Deutschland weniger zäh voran als andernorts. Und doch: Wer weiß schon, ob er zu einem wirklichen Ergebnis kommt.
Aber vielleicht sind Katholikentage wie der in Stuttgart dafür die Vorboten. Längst stehen sie für eine Vielfalt, gegen die sich die Verantwortlichen noch vor wenigen Jahren wehrten. Nun scheinen sie zu akzeptieren: Die katholische Schar ist flippig, spießig und bürgerlich, laut und nachdenklich, sie ist auch schwul und queer, fromm und frei, konservativ und links, lästig und langweilig. Der Glaube ist Nachbar des Zweifels. Ökumene, das Miteinander der einst gespaltenen Christenheit, ist längst selbstverständlich.
Das wird nicht nur selten so deutlich wie bei kirchlichen Kongressen wie den Katholikentagen. Sie sind auch Garanten dafür, dass das so bleibt und dass es noch selbstverständlicher wird. Denn die Botschaft Jesu, das Evangelium, beschäftigt sie alle, die da zusammenkommen.