Ohne Alaows' Kandidatur verlieren wir alle
Als Tareq Alaows ankündigte, für die Grünen bei der Bundestagswahl zu kandidieren, herrschte große Aufregung. Der 31-Jährige ist Jurist und ein ehemaliger Freiwilliger des Roten Halbmonds. Für viele zählt aber nur das eine: Er ist aus Syrien geflüchtet.
Es war kein einfaches Jahrzehnt für Alaows. Doch nachdem er die politische Willkür, den Krieg in Syrien und die Flucht überlebte, nachdem er sechs Jahre in Deutschland gelebt, die Sprache gelernt und sich für Asylsuchende engagiert hatte, war es soweit: Er hätte als erster syrischer Geflüchteter im Bundestag Geschichte schreiben können. Man stellte sich Alaows lächelnd vor: "Ja, wir haben es geschafft, wir sind angekommen."
Nach Drohungen Kandidatur zurückgezogen
Daraus wird nichts mehr. Am 30. März landete eine Nachricht von Alaows Presseteam in meiner Mailbox. Nicht die lang ersehnte Interviewzusage war es, sondern eine Mitteilung, er würde sich aus dem Rennen zurückziehen.
Ich war fassungslos, als ich las, dass Alaows "die hohe Bedrohungslage für ihn, und vor allem für ihm nahestehende Menschen" als den wichtigsten Grund für die Rücknahme seiner Kandidatur nannte. Darüber hinaus schrieb das Presseteam, Alaows hätte massive Rassismus-Erfahrungen gemacht.
Kein Platz für Gewalt in demokratischer Debatte
Nun geht aus dieser Mitteilung nicht klar hervor, aus welcher Ecke die Bedrohung kommt. Medien spekulierten, es handelte sich um rechtsextreme Morddrohungen, andere berichteten, die Drohungen würden gegen Alaows' Familie in Syrien ausgesprochen. Genaues wissen wir (noch) nicht. Dessen ungeachtet war ich erschüttert und auch wütend. Egal, was man von Tareq Alaows und seiner grünen Politik hält: Sein Rückzug ist für die Wähler dieses Landes ein Verlust.
Denn die Menschen, die Alaows und seine Familie bedrohen, bevormunden uns. Sie nehmen uns die Möglichkeit, zu entscheiden, wen wir wählen möchten, und mit welchen Denkansätzen wir uns auseinandersetzen. Sie berauben uns also eines Stücks unserer Freiheit. In einer Demokratie sollte, zumindest idealerweise, ein Wettbewerb der besten Ideen stattfinden. Dass sich Einschüchterung und Gewalt anstelle von Ideen und Argumenten als Mittel der Politik etablieren, ist ein großes Problem. Und wir dürfen das nicht dulden.
Politiker fühlen sich immer weniger sicher
Leider ist Alaows nur das neueste Beispiel. Parteigenossen der Grünen wie Cem Özdemir und Aminata Touré schütteln wahrscheinlich nur traurig mit dem Kopf - rassistische Schmähungen gehören bei ihnen zum Alltag. Auch in der Lokalpolitik herrscht vielerorts ein Klima der Angst, das alle Parteien betrifft. Straftaten gegen Politiker, Parteimitglieder und Parteieigentum nehmen zu. In Deutschland Politik zu betreiben, ist ein Risikojob geworden Und unsere Institutionen scheinen unfähig, Politiker angemessen zu schützen.
Man wünschte sich natürlich, dass Alaows trotz der Drohungen weitermachte, weil er in einem Land lebt, in dem man nicht aufgrund seiner Überzeugungen sterben muss. Doch dann denkt man an den Politiker Walter Lübcke, der sich für geflüchtete Menschen einsetzte und ermordet wurde. Ich kann Alaows' Entscheidung also verstehen. Niemand sollte diese Angst spüren oder seiner Familie antun müssen.
Mehr Transparenz
Vielleicht wäre es gut, wenn Alaows ganz offen sagen würde, wer ihm droht. Außer wenn der Sachverhalt Gegenstand von polizeilichen Ermittlungen ist. Schon jetzt machen nämlich abstruse Komplott-Spekulationen die Runde. Es ist auch verständlich, dass Alaows eine Atempause braucht. Doch das Beispiel des SPD-Politikers Helge Lindh, der die an ihn gerichteten Drohbriefe veröffentlicht hat, zeigte, dass klare Kante Wirkung zeigt. Die Einschüchterungsversuche gegen Politiker sind real und ernst zu nehmen. Das wäre mal eine Kampfansage. Somit hätten die Hetzer nicht ganz gewonnen.