Eines ist sicher: Die neuen Stadien werden glitzern und funkeln, die Skyline von Doha in bunten Farben leuchten. Die FIFA bekommt ihr Spektakel, Katar die ersehnte Aufmerksamkeit auf der großen Weltbühne. Das Team des Gastgebers darf das Eröffnungsspiel nun sogar einen Tag früher spielen, am 20. November.
Katar gegen Ecuador, zur besten Sendezeit - Millionen weltweit werden einschalten. Es ist schließlich Fußball-WM, "the greatest show on earth". Die FIFA hat für Katar extra den Spielplan umgeworfen - mal eben dreieinhalb Monate vor Turnierbeginn. Eine gute Zeit, um nach der Euphorie Ausschau zu halten.
Schon Fans gesichtet, die dem Event entgegenfiebern? Ob Kinder die Kioske stürmen und ihre Heftchen voll kleben, wenn im September das Panini-Sammelalbum zur WM rauskommt? Ich habe da meine Zweifel.
So jedenfalls habe ich Weltmeisterschaften als kleiner Junge in Erinnerung, doch bei diesem Turnier mag kein Kribbeln, keine Vorfreude aufkommen.
Skepsis und Kritik überwiegen
Klar, wir in der westlichen Welt haben unsere ganz eigene, zum Teil auch fußball-romantische Sichtweise. Public Viewing auf dem Weihnachtsmarkt gehört für viele Fans in Europa nicht dazu. Wobei die lästige eurozentrische Diskussion um die "Winter-WM" am Kern des Problems vorbeiführt.
Denn auch das gehört zur Wahrheit: In anderen Regionen wird die WM positiver gesehen - sie findet 2022 schließlich zum ersten Mal überhaupt in der arabischen Welt statt, in einem muslimisch geprägten Land. In arabischen Ländern wie Marokko, Tunesien oder Ägypten, wo Fußball Tradition hat und begeisterte Anhänger, wäre eine WM finanziell wohl nicht zu stemmen. Die Golf-Region als Gastgeber ist deshalb nur logisch.
Doch trotzdem wird die Premiere weiterhin von Skepsis überschattet. Nicht nur wegen der Korruption bei der WM-Vergabe, wegen der Sportswashing-Strategie Katars und der Situation der Arbeitsmigranten, die trotz Reformen weiter prekär bleibt, wie Amnesty International berichtet. Sondern auch wegen Unzulänglichkeiten in der WM-Organisation, die immer sichtbarer werden.
Zu wenige Hotels für zu viele Fans
Noch immer ist vielen Fans mit Tickets nicht klar, wo sie übernachten sollen. 100.000 Zimmer soll es laut WM-Organisationskomitee geben, darunter neben Hotels auch kreative Optionen wie Zeltlager und Kreuzfahrtschiffe. Doch gerade in der Gruppenphase, wenn alle 32 Teams ihre Fans mitbringen, wird das Dreifache an Besuchern erwartet. Schon ist von einer "Luftbrücke" die Rede. Fans sollen aus umliegenden Golfstaaten für die Spiele morgens nach Doha ein- und abends wieder ausfliegen. Bei geplanten 160 Pendelflügen am Tag macht das 3.520 Flüge mehr als ohnehin schon.
Nachhaltig, klimaneutral, eine WM der kurzen Wege? Was bleibt von all diesen Versprechen? Das Thema "Greenwashing" wird uns weiter begleiten, auch angesichts der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Energiekrise in Europa. Fun fact: Der Energieverbrauch in einem voll klimatisierten Fußballstadion ist pro Spiel etwa so hoch wie in einer Kleinstadt (5.000 – 10.000 Einwohner).
Was ist mit Kompensationszahlungen für die Familien von Gastarbeitern? Was ist mit den Ängsten der LGBTQ-Community? Im Gespräch mit DW kritisierte Human Rights Watch kürzlich, dass die FIFA viel stärker Reformen im Land hätte einfordern müssen. Homosexualität ist in Katar verboten.
Ein Boykott ist vom Tisch
All diese kritischen Stimmen werden langsam verstummen im Schwall an sportlicher Berichterstattung und spätestens, wenn die FIFA ihre glanzvollen Bilder um die Welt beamt. Für einen Boykott kann sich derweil kaum noch jemand begeistern. Zwar gibt es unter Fans in Europa vereinzelte Initiativen.Aber unter den Funktionären der Nationalteams herrscht Einigkeit: Hinfahren, das Turnier zu Ende spielen und nebenbei im Gespräch bleiben. Die europäischen Verbände haben angekündigt, sich bei Protest-Aktionen für Menschenrechte in Katar abstimmen zu wollen. Ob das klappt, wenn der Ball erst rollt, mitten im glitzernden Spektakel? Auch wenn die Vorfreude fehlt - es lohnt sich, bei dieser WM ganz genau hinzuschauen.