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Politik

Xis Corona-Sonderweg ist gescheitert

15. Dezember 2022

Auf drakonische Lockdowns folgt in China nun eine schlagartige Öffnungspolitik. Die Partei lässt die Bevölkerung ein weiteres Mal im Stich, meint Rodion Ebbighausen.

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China I Xi Jinping
Öffnungen statt Null-COVID: Xi Jinping vollführte eine bemerkenswerte KehrtwendeBild: Xie Huanchi/IMAGO

Drei Jahre lang litten die Menschen in China unter massiven COVID-Restriktionen. 100-Tage-Lockdowns waren keine Seltenheit. 100 Tage keinen Schritt aus der eigenen Wohnung. 100 Tage Essen aus Plastikschalen, das Lieferdienste vor die Wohnungstür stellen. 100 Tage keinen physischen Kontakt zu anderen Menschen.

Wie in einem Endzeitfilm waren die Wohnblocks verbarrikadiert. In weißen Schutzanzügen setzten anonyme Gestalten ständige Testungen durch. Ein einzelner positiver Test konnte Tausende in die Isolation schicken. Teilweise wurden sogar die Haustiere von positiv Getesteten getötet. Kleine Kinder wurden tagelang von ihren Eltern getrennt. Sie endeten in gigantischen Hallen, in denen das System die Infizierten absonderte.

Sicherheit durch Angst

Begründet wurden die massiven Einschränkungen der Bevölkerung mit der tödlichen Gefahr durch das Virus. Anders als in den vermeintlich dekadenten westlichen Nationen, allen voran den USA, kümmere sich der Staat in China um seine Bürger und garantiere ihre Sicherheit. Um Millionen von Toten zu vermeiden, sei eine strikte Null-COVID-Politik unerlässlich, hieß es.

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Rodion Ebbighausen ist Redakteur in der DW-Hauptabteilung AsienBild: DW

Anfänglich, als die Pandemie noch neu war und es an Erfahrungen mangelte, wurde auch in Deutschland gestritten, was der beste Weg zur Bekämpfung der Seuche ist. Es gab auch hier Verfechter einer strikten Null-COVID-Politik. Aber spätestens mit Auftreten der Omikron-Variante Ende 2021 wurde klar, dass eine Null-COVID-Politik das Unvermeidliche nur hinausgezögert. Der kommunistische Nachbar Vietnam, der bis dahin ebenfalls eine Null-COVID-Politik verfolgte, steuerte um, setzte auf Impfungen, in einer großen Welle wurde das Land durchseucht. Heute ist das Leben in Vietnam wie vor der Pandemie.

Chinesischer Sonderweg

Spätestens hier begann der chinesische Sonderweg. Mit jedem Monat geriet das Land tiefer in eine Sackgasse. Es ging dabei nicht mehr in erster Linie um die Bekämpfung der Pandemie, sondern um ideologische Ziele: China wollte die Überlegenheit des eigenen Systems gegen den Rest der Welt beweisen.

Im Vorfeld des 20. Parteitag der Kommunistischen Partei im Oktober diesen Jahres, auf dem Präsident und Parteichef Xi Jinping, der Vater der Null-COVID-Politik, zum Herrscher auf Lebenszeit gemacht werden sollte, wurde keine Störung geduldet.

Flucht und Proteste

Wie sehr die Bevölkerung in China unter der Zwangssicherheit der Kommunistischen Partei litt, wurde deutlich, als Tausende von Arbeitern aus den Fertigungshallen von Foxconn flüchteten, sobald ein positiver Fall gemeldet wurde. Alle wollten der wochen- oder monatelangen Isolation entgehen.

Nach dem Parteitag kam es dann in verschiedenen Städten zu Protestkundgebungen. Angesichts der allgegenwärtigen Überwachung und der Repressionen, die alle Teilnehmer zu erwarten haben, ein weiteres Indiz dafür, dass viele Chinesen am Ende ihrer Kräfte waren. Die Proteste waren schnell wieder unter Kontrolle. Zu keinem Zeitpunkt haben sie das System gefährdet. Bedrohlicher dürfte da eher die zunehmende Abkehr ausländischer Investoren von China gewirkt haben. Zuletzt hatten immer mehr internationale Firmen öffentlich damit geliebäugelt, sich wegen der harten Lockdown-Maßnahmen aus dem China-Geschäft zurückzuziehen.

Radikale Wende

Überraschend und unverständlich bleibt, wie der chinesische Staat, der sich einiges auf seine technokratische Verwaltung einbildet, reagierte. Quasi von heute auf morgen wurden die COVID-Restriktionen aufgehoben, die Testungen abgeschafft. Von einem Extrem schlug die Politik ins andere um.

Wenn es der Kommunistischen Partei je um die Sicherheit ihrer Bürger gegangen wäre, dann hätte sie eine Übergangsfrist geschaffen, eine umfassende Impfkampagne initiiert und das Gesundheitssystem adäquat vorbereitet. Nichts dergleichen ist geschehen.

Die letzte Impfung vieler alter und kranker Menschen, die ohnehin nur mit dem wenig wirksamen Sinovac-Wirkstoff geimpft wurden, liegt oft Monate zurück. Apotheken und Krankenhäuser sind völlig überlaufen. Das Virus kennt keinen Sonderweg. Die Erfahrung lässt befürchten, dass sich Millionen Menschen infizieren und Zehntausende sterben werden. 

Die Bevölkerung, die von der Partei zuerst in die Isolation gezwungen wurde, wird jetzt ein weiteres Mal allein gelassen.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia