Meinungsfreiheit oder Volksverhetzung?
30. Juli 2014Serdar Yüksel fühlt sich beleidigt. So sehr, dass er Strafanzeige erstattet hat. Es gehe um den Straftatbestand der Volksverhetzung, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Den Zorn des 41-Jährigen hat Nicolaus Fest entfacht. Fest ist stellvertretender Chefredakteur der "Bild am Sonntag" (Bams), ein Boulevardblatt mit einer Auflage von rund 1,2 Millionen verkaufter Exemplare.
Die Bams versteht sich zusammen mit der großen Schwesterzeitung "Die Bild-Zeitung" als meinungsbildend ("Bild Dir Deine Meinung!") in Deutschland. Am Sonntag (27.07.2014) hatte Fest einen Kurz-Kommentar geschrieben. Eine Abrechnung mit dem Islam. Serdar Yüksel findet die Schmähung pauschalisierend und herabwürdigend. Der Text stachele, so Yüksel, offen zum Hass gegen Menschen muslimischen Glaubens an.
"... der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt"
Tatsächlich gleicht der Kommentar von Fest einer Generalabrechnung mit dem Islam. Junge Muslime in Deutschland seien überproportional kriminalistisch auffällig, ist dort zu lesen. Und gegenüber Frauen und Homosexuellen sei der Islam stets voller totschlagbereiter Verachtung.
Der Islam, ein echtes Integrationshindernis, bilanziert der Autor. Bei Asylanträgen und Zuwanderung sei das zu berücksichtigen, empfiehlt er. Sein Fazit: "Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht."
Das alles erfülle den Straftatbestand der Volksverhetzung, sagt Serdar Yüksel, SPD-Politiker mit Migrationshintergrund und Abgeordnete im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Falsch, findet das Udo Vetter, das ist alles schlimm, wird aber "nach wie vor von der Meinungsfreiheit gedeckt", argumentiert der Fachanwalt für Strafrecht im DW-Interview.
Meinungsfreiheit schützt auch die widerliche Meinung
Der Straftatbestand der Volksverhetzung ist für Vetter im Falle des Fest-Kommentars nicht gegeben. Es werde häufig übersehen, dass der Paragraph 130 des Strafgesetzbuches, in dem der Straftatbestand der Volksverhetzung definiert ist, nur die Störung des öffentlichen Friedens meint. Und die liegt dann vor, wenn Äußerungen mit spürbarer Aggressivität vorgebracht werden, die den Kern der Menschenwürde angreifen. Und das ist hier offensichtlich nicht der Fall, stellt Vetter fest.
Volksverhetzung liegt immer dann vor, wenn zu Gewalt aufgefordert wird. Das hat Nicolaus Fest nicht getan, meint der Jurist. Deshalb sei sein Kommentar keine Volksverhetzung, aber womöglich eine Beleidigung. Das müsse jetzt die Staatsanwaltschaft prüfen.
Der Spielraum der Gerichte
Volksverhetzung kann in Deutschland mit Geldstrafe, aber auch mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. Ob Aussagen volksverhetzend sind, muss man im Einzelfall betrachten, sagen Strafrechtsexperten. "Man muss immer schauen, in welchem Kontext solche Äußerungen stehen und sie im Lichte der Meinungsfreiheit, die auch drastische, zugespitzte und polemische Äußerungen schützt, interpretieren", sagt der Berliner Anwalt Ali B. Norouzi. Jeder darf seine Meinung frei äußern. Doch dieses Recht rechtfertigt keine Volksverhetzung: Meinungsfreiheit findet ihre Grenzen dort, wo die Rechte und die Würde anderer verletzt werden.
Besonders im Fokus: Neonazis, Holocaust-Leugner und Hassprediger
Formulierungen wie "Juden sind Lügner" und "Judendreck bestimmt in der EU" sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das hat im Juni 2011 das Landgericht in Freiburg entschieden und einen damals 65-jährigen Mann, der diese Äußerungen ins Internet gestellt hatte, wegen Volksverhetzung verurteilt. Das Urteil: sieben Monate Haft und eine Geldstrafe in Höhe von 1200 Euro.
Eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten erhielt im Juni 2014 ein 32-Jähriger wegen volksverhetzenden Textilien. Er hatte über seinen Versandhandel unter anderem T-Shirts mit Aufdrucken wie "Nichtjude" und "Bündnis 33 - Die Braunen" angeboten.