Menschen im Gazastreifen geht es schlechter als je zuvor
12. September 2006Die große Koalition des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert ist dabei, eine Kehrtwende zu vollziehen: Nach den Erfahrungen des Gazastreifens und des Libanon sei an einen einseitigen Rückzug aus dem Westjordanland nicht zu denken, meinte Olmert-Vize Schimon Peres. Genau das aber war einer der zentralen Punkte im Regierungsprogramm dieser großen Koalition gewesen: Dem von Olmert-Vorgänger Ariel Scharon angeordneten Rückzug aus dem Gazastreifen sollte ein weitgehender Rückzug aus dem Westjordanland folgen. Zur Not auch - wie in Gaza - ohne Rücksprache und Koordination mit den Palästinensern und mit dem klaren Ziel, Israelis und Palästinenser auf Dauer voneinander zu trennen. Damit beide wenn schon nicht in Frieden so doch in Ruhe - weil ohne direkten Kontakt - nebeneinander leben könnten.
Egoistisches Vorgehen Israels
Ein Jahr nach dem Gazarückzug am Dienstag (12.9.2006) sind solche Konzepte zur Makulatur der israelischen Sicherheitsstrategie geworden. Mit aktiver Friedenspolitik hatten sie ohnehin nie etwas zu tun. Denn Israel wollte damit alleine festschreiben, was anderenorts nur auf dem Weg über Verhandlungen und gegenseitige Vereinbarungen versucht und erreicht würde: Eine endgültige Regelung zu treffen, endgültige Demarkationslinien und Grenzen zu ziehen, ohne sich um die Interessen und Belange der Palästinenser zu scheren - ganz besonders nicht um ihren Anspruch auf einen eigenen und lebensfähigen Staat.
Genau an diesem Punkt setzte der Hauptprotest der Palästinenser ein und ihr verhängnisvollster Fehler: Statt zu nehmen, was Israel ihnen zu geben bereit war, bestanden die Palästinenser darauf, dass der einseitige Rückzug aus Gaza nicht akzeptabel sei, weil er die endgültige Grenzziehung vorweg nehme und den palästinensischen Staat möglicherweise auf den Gazastreifen zu reduzieren versuche.
Machtlose PLO
Die Unfähigkeit und Unbereitschaft der Palästinenser, sich mit solch einer Regelung anzufreunden, ging einher mit einer Verschärfung der Spannungen zwischen der Palästinenserorganisation PLO und der an Macht und Einfluss gewinnenden Hamas, einer islamistischen Bewegung, die es durch ihr starkes soziales Engagement zu Ansehen und Anerkennung unter den Palästinensern gebracht hatte. Die mit ihrer vehementen und kompromisslosen Ablehnung des Staates Israel aber auch ein ernstzunehmendes Hindernis auf dem Weg zu einer israelisch-palästinensischen Einigung darstellt.
Abgewirtschaftet und von Korruptionsvorwürfen geschüttelt verlor die PLO dann auch noch die ersten Parlamentswahlen in zehn Jahren und Hamas konnte als stärkste Partei die Regierung bilden. In Israel regte sich sofort der Argwohn, dass man mit dem Rückzug aus Gaza und der Auflösung der Siedlungen dort ein halbes Jahr zuvor einen gravierenden Fehler gemacht haben könnte.
Helfer auf Distanz
Und auch die internationale Gemeinschaft reagierte betreten: Da hatte man nun immer auf der Umsetzung des demokratischen Prozesses bestanden, und nun bringt solch eine demokratische und freie Wahl eine Gruppe an die Macht, die sich nicht an bereits geschlossene Vereinbarungen - wie das Oslo-Abkommen - halten will und deren Charta ein Programm zu weiterem Blutvergießen ist, nicht aber zu einer Aussöhnung mit Israel. Hamas war und ist außerdem für eine lange Reihe von Terroranschlägen verantwortlich und deswegen in der EU wie auch den USA als Organisation gelistet, die den Terrorismus unterstützt.
Hilfszusagen an die Palästinenser wurden von Europäern wie auch den USA auf Eis gelegt oder doch zumindest dergestalt umgewandelt, dass nicht die Hamas-Regierung, sondern die Bevölkerung direkt davon profitieren sollte. Aber dies wurde überholt vom Lauf der Ereignisse: Die Entführung eines israelischen Soldaten in den Gazastreifen und wiederholter Raketenbeschuss israelischer Orte aus dem Gazastreifen heraus haben Gaza wieder zum besetzten und umkämpften Gebiet gemacht. Ein Großteil der Mitglieder der Hamas-Regierung ist von Israel festgenommen und inhaftiert worden, die Schäden an der Infrastruktur Gazas sind beträchtlich und der entführte Soldat ist weiterhin nicht frei.
Ein Jahr nach dem Rückzug der Israelis aus dem Gazastreifen ist die Lage dort schlechter als zuvor. Für beide Seiten.