Dioxin-Skandal
11. Januar 2011DW-WORLD.DE: Nach Deutschland tauchen jetzt auch in Frankreich und Dänemark dioxinbelastete Produkte auf. Verbraucher und Landwirte sind verunsichert. In Brüssel kamen am Montag (10.01.2011) die europäischen Futterfett-Hersteller mit der EU-Kommission zusammen und berieten über Maßnahmen zur Schadensbegrenzung. Nach Ansicht der EU-Kommission gibt es zwei Lösungsansätze, um die Gifte im Futterfett zukünftig zu vermeiden: Die klare Trennung der Produktionswege von Futterfett und technischen Fetten oder stärkere Kontrollen. Herr Graefe zu Baringdorf, Sie begleiten die europäische Agrarpolitik seit über einem Vierteljahrhundert. Der jüngste Dioxin-Skandal, von dem vor allem Deutschland betroffen ist, ist ja nicht der erste in Europa. Warum funktioniert der Verbraucherschutz nicht?
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Wir haben diesmal eine etwas verbesserte Situation, weil nicht, wie das in früheren Skandalen der Fall war, die Beteiligten sich damit herausreden können, dass es irgendwo einen Unglücksfall gegeben hätte. Also, dass quasi ein Eimer umgefallen wäre, in dem wohl etwas Verkehrtes drin war oder ein falscher Hebel umgelegt wurde. Auch das Bundesministerium für Verbraucherschutz spricht von kriminellen Machenschaften und von einer systematischen Zumischung von toxischen Stoffen, die eigentlich auf die Sondermülldeponie oder in die Müllverbrennung gehören. Diese wurden ins Futter eingemischt. Damit werden wir als Menschen zu Endlagern gemacht. Das erzeugt bei den Verbrauchern, auch wenn es nicht unmittelbar tödlich ist, natürlich Wut und Entsetzen. Wir müssen jetzt fragen: Wie sind diese kriminellen Elemente zu stoppen.
Wie kann man sie denn stoppen, welche Möglichkeiten hat die EU?
Nun werden stärkere Kontrollen und höhere Strafen gefordert. Aber all das wird die kriminellen Elemente nicht abschrecken. Man muss den Sumpf trockenlegen. Das geht nur wenn die seriösen Futtermittelfirmen, die ja die Abnehmer dieser Panschereien sind sich wehren. Denn sie sind es, die jetzt mit den kriminellen Elementen, mit den Hasardeuren in Verbindung gebracht werden und sie müssen um ihren guten Ruf fürchten.
Wenn wir mal den EU-Haushalt betrachten, stellen die Subventionen für die Landwirtschaft ja den größten Posten dar. Welche Möglichkeit hat denn die Europäische Union durch die Landwirtschaftspolitik und den finanziellen Hebel auf solche Machenschaften Einfluss zu nehmen?
Das versucht der jetzige Agrarkommissar, indem er die Industrialisierung der Landwirtschaft nicht mehr mit öffentlichen Geldern vorantreiben will. Die EU-Kommission sagt, es müssen von der Landwirtschaft öffentliche Leistungen erbracht werden. Dazu gehören die artgerechte Tierhaltung aber auch die artgerechte Fütterung. Andere Formen der Landwirtschaft - also die industrielle Landwirtschaft - soll hingegen nicht mehr gefördert werden. Aber beim Dioxin-Skandal kommen sie mit Geld den kriminellen Machenschaften nicht bei. Das geht nur, indem sie die seriösen Firmen namentlich benennen, und dadurch, dass diese dann mit Hasardeuren keine Geschäfte mehr machen. Schließlich haben die Futtermittelhersteller ein ökonomisches Interesse daran, dass die Wut der Bevölkerung sich nicht auf sie richtet.
Das heißt, Sie plädieren für eine Art öffentlichen Pranger, wo Namen genannt werden. Was halten Sie denn von der Idee, die Trennung der Produktion von Tierfetten und technischen Fetten durchzusetzen?
Es geht nicht so sehr um die Trennung von technischen Fetten von Futterfetten, sondern um mit Dioxin belastete Fette. Die entstehen immer dann, unter hohen Temperaturen, zwischen 300 und 900 Grad. Da ist es egal, ob es technische Fette sind oder Fette für Futterzwecke. Auch in Friteusen entsteht Dioxin. Und es gibt eine Höchstmengenverordnung in der Europäischen Union und ein Verschneidungsverbot. Das heißt, sobald ein Öl über diesen Wert geht, ist es Sondermüll und muss entsorgt werden. Diese kriminellen Firmen, die der Futtermittelindustrie vorgelagert sind, verschneiden aber nun dieses Altöl. Sie sammeln es ein, Bekommen die Entsorgung von denjenigen bezahlt, die es sonst entsorgen müssten und strecken es mit gutem Öl. Dann verkaufen sie es an die Futtermittelfirmen. Meist ist dann zwar der Wert, unter den Höchstwert abgesenkt, aber es ist Verschneidungsware. Damit wird Dioxin erst gar nicht aus dem Verkehr gezogen, sondern gestreckt in den Kreislauf gebracht. Und dann werden wir Menschen, weil das ja nicht abzubauen ist, zu Endlagerstätten.
Die EU-Kommission sagt, es bestehe keine unmittelbare Gefahr für die Verbraucher. Kann man sich damit zufrieden geben?
Nein, der Vorteil von Dioxin ist, dass man nicht unmittelbar umfällt, wenn man es in einer bestimmten Dosierung einnimmt. Es ist ein langfristig wirkendes Gift, das nicht als Gift unmittelbar wirkt, sondern durch die Auslösung von Krankheiten wie Krebs.
Das Interview führte Mirjam Gehrke.
Redaktion: Fabian Schmidt
Der Agrarexperte Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland, bewirtschaftet einen eigenen Biohof und war von 1984 bis 2009 Abgeordneter in der grünen Fraktion des Europaparlaments.