Menschenrechte und Wirtschaft
1. März 2013Effektive, international vereinbarte Regeln zum Menschenrechtsschutz im Wirtschaftsbereich seien in den vergangenen 20 Jahren immer wichtiger geworden, unterstreicht John Ruggie, UN-Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Unternehmen. Er ist der Hauptautor der UN-Richtlinien, durch die Menschenrechte in einer globalisierten Wirtschaft geschützt werden sollen.
Denn die Rechte der Unternehmen, global zu operieren, seien in dieser Zeit erheblich ausgeweitet worden - unter anderem durch strenge Regeln zum Schutz von Investitionen und von Patenten. Doch in diesem veränderten wirtschaftlichen Umfeld sei "der Menschenrechtsschutz nicht entsprechend weiterentwickelt worden", beklagt Ruggie.
Schutz, Respekt und Wiedergutmachung
Die UN-Richtlinien zu Wirtschaft und Menschenrechten gehen davon aus, dass dieser Schutz weiterhin die primäre Verantwortung von Staaten und ihren Regierungen ist. Doch auch Unternehmen müssen die internationalen Menschenrechtsnormen respektieren – und darüber hinaus nationale Gesetze und Bestimmungen.
Laut den UN-Richtlinien sollen die Unternehmen in ihrem Verantwortungsbereich Sklaverei, Kinderarbeit und alle anderen Formen wirtschaftlicher Ausbeutung verhindern. Sie müssen für sichere und menschenwürdige Arbeitsbedingungen sorgen - in Übereinstimmung mit den Kernabkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Auch beim Bau von Industrieanlagen oder Pipelines, beim Kauf von Land oder beim Abbau von Energieressourcen und anderen Rohstoffen im Ausland haben die Unternehmen die Pflicht, die Menschenrechte der lokalen Bevölkerung zu respektieren. Kommt es zu Menschenrechtsverletzungen, ist es die gemeinsame Verantwortung von Unternehmen und Regierungen, für eine Wiedergutmachung zu sorgen.
Umsetzung bislang wenig konkret
Mit der Verabschiedung dieser Richtlinien durch den UN-Menschrechtsrat im Juni 2011 sei es allerdings noch nicht getan, entscheidend sei ihre konkrete Umsetzung, betont John Ruggie. Über dieses Problem der Umsetzung in den vergangenen 18 Monaten diskutierten Experten im Rahmen eines globalen Forums für Wirtschaft und Menschenrechte in Genf. Dort erklärte Andrey Galaev, Vorstandsvorsitzender des russischen Energiekonzerns Sakhalin, dass die Forderungen der UN-Richtlinien in seinem Unternehmen bereits seit dessen Gründung im Jahr 2000 vollständig umgesetzt worden seien.
Debbie Stothard, Menschenrechtsaktivistin des alternativen ASEAN-Netzwerkes ALTSEA, konnte noch auf kein konkretes Beispiel für die Umsetzung der neuen UN-Richtlinien in den Ländern des Verbandes der Südostasiatischen Nationen verweisen. Doch sie äußerte die Hoffnung, dass sich diese zumindest in der Zukunft zu einem effektiven Instrument entwickeln werden, um den Menschenrechtsschutz in den Ländern ihrer Weltregion zu verbessern: Zum Beispiel in Birma und anderen asiatischen Ländern, wo ausländische Konzerne die Landbevölkerung manchmal willkürlich und sogar gewaltsam enteignen.
Die Europäische Union hat vor kurzem einen Menschenrechtswegweiser für kleine und mittlere Unternehmen veröffentlicht, betonte der Sonderbeauftragte der Europäischen Union für Menschenrechte, Stavros Lambrinidis, auf dem Genfer Forum. Spezielle EU-Richtlinien für Unternehmen der Öl- und Gasindustrie, der Informations- und Telekommunikationsbranche sowie für Arbeitsvermittlungsfirmen sollen im April 2013 folgen.
Klagen gegen multinationale Konzerne
Vorwürfe wegen Menschenrechtsverstößen gegen multinationale Konzerne würden inzwischen auch von nationalen Justizbehörden in den Ländern aufgegriffen, in denen sich der Hauptsitz der Konzerne befindet, erklärt John Ruggie. Diese Entwicklung lasse ihn auf Verbesserungen beim Menschenrechtsschutz hoffen. So habe die Schweizer Justiz Ermittlungen gegen den Nahrungsmittelkonzern Nestle aufgenommen – nach einer Klage des Europäischen Zentrums für Verfassungs- und Menschenrechte in Berlin gegen führende Manager des Konzerns. Ihnen wird von den Klägern vorgeworfen, dass das Unternehmen für die Ermordung eines unbequemen Gewerkschafters in einer Nestle-Tochterfirma in Kolumbien mitverantwortlich sei.
Ähnliche Klagen würden inzwischen auch vor Gerichten in Kanada, Australien, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und anderen Ländern verhandelt, berichtet Ruggie. Diese Formen extraterritorialer Rechtsprechung nehmen zu, weil "Regierungen erkennen, dass nichts Geringeres auf dem Spiel steht als die soziale Zukunftsfähigkeit der Globalisierung".