Aktivist Gamal Eid: "Der Zorn ist berechtigt"
1. Oktober 2019Deutsche Welle: In Ägypten sollen laut Menschenrechtsorganisationen bis zu 2000 Menschen in den letzten Wochen festgenommen worden sein. Unter anderem einer der führenden Aktivisten der Demokratiebewegung Alaa Abdel Fattah, der nach fünf Jahren Haft erst im März freigelassen worden war. Was sagen Sie zum Umgang des ägyptischen Regimes mit den Protesten?
Gamal Eid: Diese Verhaftungswelle ist der falsche Weg, um mit dem Zorn der ägyptischen Bevölkerung umzugehen. Ihre Empörung ist das Ergebnis einer Wirtschaftspolitik, die die Menschen an ihre Grenzen brachte und einer politischen Unterdrückung, die seit Jahren anhält. Dabei sollte der Staat mit anderen Mitteln auf die Unzufriedenheit der Menschen reagieren: Das Gespräch suchen, die Gründe der einfachen Menschen verstehen und vor allem sich dafür entschuldigen, dass öffentliche Staatsgelder veruntreut wurden. Die Regierung hat von all diesen Möglichkeiten, den Weg der Unterdrückung gewählt. Das beruhigt die Lage nicht und wird den Zorn der Menschen noch mehr provozieren.
Menschenrechtsorganisationen haben die ägyptische Regierung aufgefordert, die politischen Gefangenen frei zu lassen, doch dieser Forderung wurde nicht nachgekommen. Wird das Regime von Präsident Abdel Fattah al-Sisi wie bisher weitermachen?
Diese Frage muss die Regierung beantworten. Aber ich möchte wissen, wie können sie Demonstrationen verleugnen und gleichzeitig 2000 Personen festnehmen? Das ist ein Beweis dafür, dass die staatlichen Behörden lügen. Es gab viele Demonstrationen, die sowohl von den Medien als auch von den staatlichen Behörden geleugnet wurden. Später sprach der Staatsanwalt in einer Erklärung davon, dass rund 1000 Menschen verhört wurden. Und das ist eine logische Zahl, da die Ermittlungen noch laufen. Die Menschenrechtler sprechen von hunderten von Verhaftungen und Fällen von Menschen, die verschwunden sind. Es wurden zwar 1000 verhört, aber es gibt noch mehr als weitere 1000 Personen, die in den kommenden Tagen noch verhört werden.
Wird es der Regierung mit diesen Mittel gelingen, weitere Proteste zu unterbinden? Und wird das langfristig funktionieren?
Die Unterdrückung der Menschen durch den Staat ist immer zum Scheitern verurteilt. Diese Repression kann nur für eine gewisse Zeitspanne für Ruhe sorgen. Aber es ist keine erfolgreiche Art mit der Verärgerung der Menschen umzugehen. Ohne einem fairen Dialog und wirkliche politische Verbesserungen kann die Situation bald eskalieren und außer Kontrolle geraten.
Wie schätzen Sie die Lage ein? Wie geht es weiter?
Alles ist möglich in dieser Situation. Ich wünsche mir, dass die Regierung nicht das tut, was Mubarak 2011 getan hat, bevor er gestürzt wurde und mit der Repression weitermacht. Das ist nicht nur für die Regierung, sondern für die gesamte Gesellschaft sehr gefährlich.
Was würden Sie der Regierung vorschlagen?
Der Staat muss aufhören Menschen zu verhaften und alle freilassen, die aufgrund ihrer politischen Einstellung im Gefängnis gelandet sind. Als erster Schritt müssen die Gesetze und die Menschenrechte respektiert werden. Wenn die Regierung das macht, werden die Ägypter das Entgegenkommen des Staates anerkennen. Aber mit Unterdrückung wird das Regime nichts als noch mehr Zorn erzeugen. Sollte aber die Situation eskalieren, dann ist nur der Staat dafür verantwortlich zu machen.
Das Regime hat starke Kontrollmöglichkeiten auf den Straßen und im Netz: Was kann die Protestbewegung dem entgegensetzen? Oder ist sie letztlich machtlos gegen Al-Sisi?
Dieser starke Zorn braucht eine adäquate Lösung. Diese Menschen sind im Recht, ihr Zorn ist berechtigt. Es kann nicht sein, dass Menschen, die nichts zu Essen haben, zusehen, wie ihr Präsident Schlösser baut. Das geht nicht. Es gibt eine einzige Alternative, wenn der Staat wirklich ein Interesse hat, für Stabilität zu sorgen: Nämlich, dass der Staat sich entschuldigt. Was die Menschen machen werden, das weiß ich nicht, aber die Menschen sind zornig und wer zornig ist, dessen Reaktion kann man nicht vorhersagen.
Verglichen mit 2011, hat es aus westlichen Ländern bisher wenig Unterstützung für die Proteste gegeben. Wie erklären Sie sich das?
Mich interessieren internationale Positionen dazu nicht. Ich bin ein ägyptischer Bürger, der sich für die Einhaltung der Gesetze und der Menschenrechte innerhalb Ägyptens interessiert. Menschenrechtsorganisationen haben sich klar zu den Geschehnissen geäußert. Es kann nicht sein, dass die Medien in Ägypten das nicht berichten und stattdessen diese Organisationen in ein schlechtes Bild rücken.
Saudi-Arabien und die Vereinigten Staaten sind aber große Unterstützer der Regierung von Al-Sisi. Denken Sie nicht, dass es Auswirkungen auf ihn haben könnte, wenn diese Staaten momentan mit sich selbst beschäftigt sind?
Donald Trump unterstützt Despoten und Saudi-Arabien war von Anfang an ein Feind des Arabischen Frühlings. Das sind keine Staaten, von denen man etwas Gutes erwarten kann.
Gamal Eid ist Jurist und Menschenrechtsaktivist aus Ägypten. Er leitet das Arabic Network for Human Rights Information und war 2004 Teil der Kefaya-Bewegung, die eine große Rolle bei den Protesten 2011 in Ägypten spielte. Der 2016 wurde der prominente Menschenrechtler in Ägypten mit Ausreiseverbot belegt. Seitdem darf er Ägypten nicht verlassen.
Das Gespräch hat Sarah Salamah geführt.