Menschenrechtslage in Deutschland geprüft - und umstritten
2. Februar 2009"Auch in Deutschland gibt es Schwierigkeiten", so der Kommentar des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, nach der Anhörung im UN-Menschenrechtsrat in Genf am Montag (02.02.2009). Mehrere Stunden hatten Erler und der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier, dem Gremium Rede und Antwort gestanden. Sie mussten sich Fragen gefallen lassen zu Themen wie Rassismus, Integration und Bildungschancen von Migranten.
Grundlage der Anhörung waren Berichte der Bundesregierung, von UN-Experten und Nichtregierungsorganisationen. Seit 2007 klopft der Rat in so genannten Überprüfungsverfahren (Universal Periodic Review - UPR) die 192 UN-Mitgliedstaaten auf die Einhaltung der Menschenrechte ab. 48 Staaten wurden bereits überprüft. Deutschland war jetzt erstmals an der Reihe und wurde ausgelost, sich als erstes Land in diesem Jahr den Fragen zu stellen.
Keine Sanktionen
Dabei muss Deutschland - wie die übrigen Mitgliedsländer auch - nicht mit Sanktionen bei eventuellen Verstößen rechnen. Denn der Menschenrechtsrat darf lediglich Empfehlungen aussprechen. 2006 wurde er gegründet als Ersatz für die bis dato wegen ihrer Unwirksamkeit kritisierte UN-Menschenrechtskommission. Periodisch überprüft der Menschenrechtsrat die 192 UN-Mitgliedstaaten auf Folter, Gewalt, Unterdrückung und Diskriminierung. Dem Menschenrechtsrat gehören 47 Staaten an, darunter auch Deutschland und vier der fünf ständigen UN-Sicherheitsratsmitglieder. Die USA sind kein Mitglied.
Alle drei Jahre werden die Mitglieder mit absoluter Mehrheit von der UN-Vollversammlung gewählt. Wichtig dabei: alle Weltreligionen müssen angemessen vertreten sein, und, die Staaten müssen geeignet sein. Diktaturen sind unerwünscht. Für Afrika und Asien sind je 13 Plätze vorgesehen, Lateinamerika und die Karibik haben zusammen acht Vertreter, die Gruppe "Westliches Europa" und andere" (darunter auch die USA) besetzen sieben, Osteuropa sechs Plätze.
"Menschenrechtliches Wunderland"
Der für Deutschland befragte Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier, hatte sich als "gut vorbereitet" für den Auftritt am Montag bezeichnet. Deutschland stehe ganz gut da, angesichts vieler Vorhaben die umgesetzt wurden. Dazu gehörten die Islamkonferenz, der Integrationsgipfel sowie die Bleiberechtsregelung. Die Bundesregierung sei "offen" für weitere Vorschläge, setze sich aber zur Wehr gegen "pauschale Verurteilungen und Vorwürfe".
Menschenrechtsorganisationen sehen das anders. Das "Forum Menschenrechte", ein Zusammenschluss von etwa 50 Organisationen, warf der Bundesregierung in der vergangenen Woche "schwerwiegende Defizite" bei der Umsetzung der Menschenrechte vor. Wenn man den eigenen Bericht mit dem der Bundesregierung vergleiche, könne man meinen, "dass von zwei unterschiedlichen Ländern" die Rede sei, hieß es. Durch die Haltung der Bundesregierung bestehe die Gefahr, dass das Länderprüfverfahren zu einer Routine verkomme.
Amnesty International warf der Bundesregierung gar einen "eklatanten Mangel an Selbstkritik" vor. "Liest man den vorgelegten Bericht, leben wir Deutschen, aber auch alle Flüchtlinge und Migranten, hier in einem menschenrechtlichen Wunderland", sagte die Amnesty-Expertin für die Vereinten Nationen, Silke Voss-Kyeck.
Anspruch und Wirklichkeit gehen auseinander
Organisationen wie Pro Asyl oder Amnesty International warteten mit Beispielen darüber auf, wie unterschiedlich Anspruch und Realität bei der Wahrung der Menschenrechte in Deutschland sind. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, sagte, das in dem Regierungsbericht aufgeführte uneingeschränkte Bekenntnis zum Schutz Verfolgter sehe in der Realität so aus, dass sich Deutschland im EU-Rahmen an Maßnahmen beteilige, mit denen Schutzsuchende an den EU-Außengrenzen bereits wieder zurückgeschickt würden.
Oder Asylsuchende würden in einen EU-Mitgliedstaat abgeschoben, in dem sie - wie in Griechenland - weitgehend rechtlos seien. Das Asylrecht, so Pro Asyl, sei bis auf wenige Ausnahmen "eine Hülle ohne Inhalt" geworden.
Amnesty International wies darauf hin, dass illegale Einwanderer nicht genug geschützt würden. So würde die Pflicht für soziale Dienste und Gerichte, Illegale der Ausländerbehörde zu melden, dazu führen, dass diese etwa nicht zum Arzt gingen oder ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Manche nähmen gefährliche und ausbeuterische Tätigkeiten an, um nicht aufzufallen.
Auch der menschenrechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, kritisierte die Pflicht, Illegale zu melden. Er bezeichnete den Bericht der Bundesregierung als "zu glatt". Er benenne "nicht ausreichend bestehende Defizite".
Polizei im Visier
Ein weiterer Kritikpunkt der Menschenrechtler: Das Verhalten der Polizei. Amnesty International gab an, es habe "glaubhafte Berichte", nach denen Menschen in Deutschland von Polizisten misshandelt würden. Sichtbare Beispiele dafür seien das Vorgehen gegen Demonstranten beim G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 oder die diskriminierende Behandlung von Wanderarbeitern an der deutsch-polnischen Grenze.
Pro Asyl verwies ergänzend darauf hin, dass die Polizei nicht ausreichend kontrolliert werde. Als Beispiel nannte die Organisation den Fall des afrikanischen Asylsuchenden Oury Jalloh, der im Januar 2005 in einer Polizeizelle im ostdeutschen Dessau verbrannte. "Der Strafprozess hat weder eine Aufklärung des Geschehens geleistet noch polizeiliches Fehlhandeln, das in diesem Fall evident ist, geahndet", so Pro Asyl.
Deutschland macht sich angreifbar
Dass in dem Bericht der Bundesregierung für den Menschenrechtsrat viele Missstände nicht angesprochen wurden, hat nach Ansicht des "Forums Menschenrechte" einen weiteren Nachteil: Deutschland mache sich gegenüber "menschenrechtlichen Hardliner-Staaten" wie China, Kuba, Pakistan, Ägypten oder Algerien angreifbar, die auch in dem UN-Gremium säßen. Für diese dürfte es ein Leichtes sein, den Bericht der Bundesregierung "allenfalls als Halbwahrheit zu denunzieren".
So gewarnt, so geschehen: Der iranische Vertreter kritisierte in Genf, dass vor allem muslimische Ausländer in Deutschland im Berufsleben diskriminiert würden. Außerdem sei ein "dramatischer Anstieg" von Gewaltdelikten gegen Fremde in der Bundesrepublik zu beobachten. Auch die Vertreter Ägyptens und Russlands äußerten sich ähnlich. Der russische Gesandte beklagte, dass Auswanderer aus den Staaten der früheren Sowjetunion benachteiligt würden.
Auch westliche Staaten fanden kritische Worte. Die niederländische Vertreterin rügte die "exzessive Gewalt" bestimmter Strafverfolgungsbehörden. Dänemark verlangte von Deutschland, die "Stigmatisierung von Homosexuellen" zu beenden. Auf das Schicksal von rund 5000 Straßenkindern machte Liechtenstein aufmerksam. Erler und Altmaier wiesen die Kritik teilweise zurück.
Tag der Entscheidung
Der menschenrechtspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Florian Toncar, forderte die Bundesregierung auf, trotz des vergleichsweise guten Rufs Deutschlands die Kritik ernst zu nehmen. Die Aussprache in Genf habe gezeigt, dass gerade "im Bereich des Flüchtlingsschutzes" etwas getan werden müsse. "Zu Recht" habe eine Reihe von Staaten auch ein besseres Integrationskonzept angemahnt und mehr Anstrengungen beim Kampf gegen fremdenfeindliche Gewalt gefordert.
Wie auch immer die Bilanz des UN-Menschenrechtsrats ausfällt. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Altmaier, zeigte sich überzeugt, dass bereits die Teilnahme den Rat stärke. Es gehe darum, "weltweit Standards zu etablieren, an denen sich Staaten messen lassen müssen". Die Empfehlungen würden eher akzeptiert, wenn sich Staaten wie Deutschland mit einem hohen Menschenrechtsstandard dem öffentlichen Verfahren stellten. Am Mittwoch (04.02.2009) wird dann klar sein, was noch getan werden muss. Dann will der Menschenrechtsrat seinen Bericht über Deutschland verabschieden.