Merkel besucht Neue Synagoge in Berlin
9. Oktober 2019In den sozialen Netzwerken haben sich nach dem Verbrechen in Sachsen-Anhalt viele Menschen organisiert, um mit Kundgebungen vor Synagogen ihre Solidarität zu bezeugen. Auch Kanzlerin Angela Merkel schloss sich ihnen an und besuchte die Neue Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin. Sie sprach mit Rabbinerin Gesa Ederberg und der jüdischen Kantorin Avitall Gerstetter.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief ebenfalls zur Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern auf. Bei einem Festakt zum 30. Jahrestag der friedlichen Revolution in Leipzig sagte Steinmeier, ein "solcher Angriff auf eine voll besetzte jüdische Synagoge schien in Deutschland nicht mehr vorstellbar". Aus einem Tag der Freude sei ein Tag des Leids geworden.
Möglicher rechtsextremistischer Hintergrund
Bundesinnenminister Horst Seehofer geht von einem antisemitischen Motiv aus. Der Generalbundesanwalt, der die Ermittlungen rasch an sich gezogen hatte, habe zudem "ausreichend Anhaltspunkte für einen möglichen rechtsextremistischen Hintergrund", erklärte Seehofer weiter.
Schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhebt der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. "Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös." Er fügte hinzu, wie durch ein Wunder sei nicht noch mehr Unheil geschehen. Schuster wies darauf hin, "die Brutalität des Angriffs übersteigt alles bisher Dagewesene der vergangenen Jahre und ist für alle Juden in Deutschland ein tiefer Schock".
"Ein neuer Ausdruck des wachsenden Antisemitismus"
Ähnlich sieht dies Israels amtierender Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Er sprach von einem Terroranschlag auf die Gemeinde in Halle, der ein neuer Ausdruck des wachsenden Antisemitismus in Europa sei. Er fordere die deutschen Behörden auf, weiterhin entschlossen gegen das Phänomen des Antisemitismus vorzugehen.
Auch Netanjahus politischer Rivale, der Vorsitzende der Liste Blau-Weiß, Benny Gantz, rief zum verstärkten Kampf gegen Antisemitismus auf. "Das schreckliche Bild von Juden, die sich an Jom Kippur in ihrer Synagoge auf deutschem Boden verbarrikadieren, muss ein Weckruf sein", sagte Gantz den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Antisemitismus müsse mit aller Kraft bekämpft werden - das schließe die Verbreitung von Hassbotschaften im Internet ein.
Jüdischer Weltkongress fordert Taten statt Worte
Der Jüdische Weltkongress (WJC) verlangte nach dem Angriff einen besseren Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland. "Leider ist die Zeit gekommen, in der alle jüdischen Gebetshäuser und andere jüdische Einrichtungen eine erhöhte Sicherheit durch staatliche Sicherheitskräfte benötigen", erklärte der WJC-Vorsitzende Ronald Lauder. Es seien "Taten statt Worte" nötig.
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Halle an der Saale, Max Privorozki, hatte zuvor bestätigt, dass sich der Angriff direkt gegen die Synagoge gerichtet habe. "Wir haben über die Kamera unserer Synagoge gesehen, dass ein schwer bewaffneter Täter mit Stahlhelm und Gewehr versucht hat, unsere Türen aufzuschießen."
Bestürzt äußerten sich auch katholische und evangelische Bischöfe und bekundeten ihre Solidarität mit den Juden in Deutschland. Papst Franziskus gedachte der Opfer des Attentats, wie das vatikanische Presseamt mitteilte.
Juncker ruft Europäer zum Handeln auf
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker richtete einen eindringlichen Appell an die europäische Öffentlichkeit. "Der zunehmende Antisemitismus muss alle Europäerinnen und Europäer zum Handeln aufrufen", schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter. Er sei zutiefst schockiert über die Nachricht von den mörderischen Anschlägen.
Das Europaparlament legte eine Schweigeminute für die Opfer ein. UN-Generalsekretär António Guterres bewertete die Tat als "eine weitere tragische Demonstration von Antisemitismus".
se/stu (dpa, afp, rtr, ap)