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Merkel will weitere EU-Reformen

Bernd Gräßler, Kay-Alexander Scholz18. Dezember 2013

Bundeskanzlerin Merkel hat eine Vertiefung der EU-Integration als zentrale Aufgabe der neuen schwarz-roten Koalition bezeichnet. Die Wirtschafts- und Währungsunion könne nur durch weitere Reformen stabilisiert werden.

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Kanzlerin Angela Merkel am Rednerpult
Bild: John Macdougall/AFP/Getty Images

Merkel will funktionsfähiges Europa

Deutschland werde auf Dauer nur stark sein, wenn Europa stark ist, betonte Kanzlerin Angela Merkel vor dem Bundestag. Eine der wichtigsten Aufgaben der großen Koalition aus Union und SPD sei deshalb eine verantwortungsvolle und integrationsfördernde Rolle Deutschlands in Europa. Es sei kein Zufall, dass die erste Regierungserklärung ihrer neuen Amtszeit der Europapolitik gelte, denn heute sei kaum noch sinnvoll zu unterscheiden zwischen Europa- und Innenpolitik.

In ihrem zwanzigminütigen Vortrag, der eher einer Vorlesung denn einer Parlamentsrede glich, bilanzierte die Bundeskanzlerin Fortschritte und Defizite der Europäischen Union. So sei die Staatsschuldenkrise zwar noch nicht überwunden, doch gebe es positive Signale. lrland und Spanien würden die Hilfsprogramme verlassen, dazu könne man nur gratulieren. Fortschritte gebe es auch in Portugal, Zypern und Griechenland. Europa sei auf dem Weg zu Stabilität und Wachstum ein gutes Stück vorangekommen. Dass Lettland im kommenden Jahr 18. Mitglied der Eurozone werde, sei ein Zeichen für die anhaltende Attraktivität der gemeinsamen europäischen Währung.

Wirtschaftsunion stärken

Merkel rief dazu auf, Konstruktionsmängel der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu überwinden. Man brauche mehr Wirtschaftsunion. Notwendige nationale Strukturreformen sollten von der Europäischen Kommission verbindlich eingefordert werden können. Darüber werde man beim Europäischen Rat am Donnerstag und Freitag in Brüssel sprechen und "langsame Fortschritte erzielen". Man müsse auch bereit sein, Verträge zu ändern und bestimmte Kompetenzen neu zu verteilen, forderte Merkel.

Mit Blick auf die in Brüssel anstehenden Beratungen über die gemeinsame europäische Verteidigungspolitik bekräftigte die Kanzlerin ihren Standpunkt, dass Europa strategische Partnerstaaten und Regionalorganisationen "ertüchtigen" solle, damit diese Konflikte selbst bekämpfen können. Dazu gehöre neben der Ausbildung von Soldaten, wie sie Deutschland derzeit in Mali leiste, auch die Lieferung von militärischer Ausrüstung. Merkel ging nicht auf die Forderung des französischen Präsidenten Francois Hollande ein, die EU solle den Einsatz französischer Truppen in Zentralafrika mitfinanzieren.

Angebot an die Ukraine besteht weiter

Zur Situation in der Ukraine, die beim bevorstehenden EU-Gipfel ebenfalls zur Sprache kommen dürfte, äußerte sich die Bundeskanzlerin zurückhaltend. Sie bedauere die Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch, das ursprünglich geplante Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. "Aber das Angebot bleibt auf dem Tisch", sagte Merkel. Sie forderte, die Ukraine soll den Menschen Demonstrationsrechte einräumen und demokratische Grundregeln einhalten. Das Abkommen Kiews mit Moskau müsse man sich "genau anschauen". Aus der Sicht Deutschlands sollte man aus Situation herauskommen, dass die Ukraine sich entweder für Russland oder für Europa zu entscheiden habe. Merkels neuer Außenminister Frank-Walter Steinmeier will am Donnerstag in Polen mit dem Nachbarstaat der Ukraine die Lage besprechen.

Opposition kritisiert unsoziale Politik und Wahlbetrug

Die Linkspartei stellt im neuen Bundestag die stärkste Oppositionsfraktion. Der erste Redebeitrag nach der Regierungserklärung von Merkel kam deshalb aus ihren Reihen. Sarah Wagenknecht kritisierte die Euro-Rettungspolitik sehr grundsätzlich, erinnerte an die soziale Not vieler Menschen in den Krisenländern und die gleichzeitig wieder sprudelnden Gewinne in der Finanzindustrie. "Sie packen die Banken und Oligarchen mit Samthandschuhen an, und die Kleinen müssen die Zockerverluste zahlen", sagte die erste stellvertretende Fraktionsvorsitzende. "Das ist nicht christlich, sondern unmenschlich und brutal." Die Linke nehme die päpstliche Botschaft ernst, nein zu einem Geld zu sagen, das regiert, statt zu dienen.

Sahra Wagenknecht von der Linkspartei im Bundestag (Foto: dpa)
Sahra Wagenknecht: Ähnliche Körpersprache wie Merkel, aber komplett andere Sicht auf EuropaBild: picture-alliance/dpa

Die Sozialdemokraten hätten im Wahlkampf versprochen, dass der Bürger nicht mehr für die abstrusen Geschäfte der Banken bezahlen müsse, erinnerte Wagenknecht. Nun aber solle ein Bankenabwicklungsfond beschlossen werden, der die Steuerzahler erst im Jahr 2026 schützt. Es gäbe zudem noch eine Billion fauler Kredite in den Bilanzen und unzureichende Eigenkapitalregeln. Mario Draghi sei als ehemaliger Goldman-Sachs-Manager nicht der richtige Mann für die Bankenaufsicht, so Wagenknecht. "Das ist eine Lebensversicherung für Schrottbanken und eine schwere Hypothek für Steuerzahler und damit ein Wahlbetrug der SPD."

Grüne fordern härtere Russlandpolitik

Katrin Göring-Eckhardt sprach im Anschluss für die zweite Oppositionspartei im Bundestag, die Grünen. Sie betonte, dass Europa nicht nur "ein Europa der Finanzen, sondern der Werte" sei. Die Freiheitskämpfer in der Ukraine würden doch aus diesem Punkt demonstrieren. "Sie kämpfen für europäische Werte", sagte die grüne Fraktionsvorsitzende. Göring-Eckhardt forderte die Bundesregierung deshalb zu einem klaren Bekenntnis für die Unterstützung der Zivilgesellschaft in der Ukraine auf, aber auch zu einer deutlichen Kritik gegenüber Russland. "Der Kreml wird zum Modernisierungspartner, obwohl Putin kein Interesse an Rechtsstaatlichkeit und europäischen Werten hat." Die Grünen erwarten, dass die Bundesregierung klar mache, "es muss eine andere Richtung eingeschlagen werden".

Göring-Eckhardt erinnerte bezugnehmend auf die Pläne einer militärische Ertüchtigungsinitiative daran, dass die Europäische Union eine Zivilmacht sei. Und ein ziviles Europa bedeute zivile Krisenprävention. Einen Einstieg in den Drohnenkrieg durch die Hintertür dürfe es nicht geben. Welche Rolle will Deutschland in der EU spielen, welche Visionen gibt es, fragte die Grünenpolitikerin. Hier fehle es Merkel an Klarheit und Mut, kritisierte Göring-Eckhardt.