Versöhnung über den Schlachtfeldern
29. Mai 2016Bundeskanzlerin Angela Merkel hat während der Gedenkfeier 100 Jahre nach der Schlacht von Verdun vor nationalstaatlichem Denken und Handeln in Europa gewarnt. "Hier ist die Geschichte beklemmend nah. Verdun lässt uns nicht los, Verdun kann und darf uns nicht loslassen", sagte die Kanzlerin. "Verdun steht für die Grausamkeit und Sinnlosigkeit schlechthin." Zugleich sei die Stadt "ein Symbol der Sehnsucht nach Frieden, der Überwindung von Feindschaft und der deutsch-französischen Aussöhnung".
Merkel wirbt für Offenheit
Nach den Worten Merkels wird den Toten der Schlacht dann ein ehrendes Andenken bewahrt, "wenn wir uns die Lehren, die Europa aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gezogen hat, immer wieder bewusst machen." Dazu zähle die Fähigkeit und Bereitschaft zu erkennen, wie lebensnotwendig es sei, sich "nicht abzuschotten, sondern offen füreinander zu sein".
Mit der Einigung habe Europa die Gräben der Feindschaft hinter sich gelassen. "Rein nationalstaatliches Denken und Handeln würde uns zurückwerfen", warnte Merkel, "das gilt für die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise oder für den Umgang mit den vielen Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, wie auch für alle großen Herausforderungen unserer Zeit."
Auch EU-Vertreter zugegen
Die offizielle Einweihung der wiedereröffneten Gedenkstätte von Verdun fand im Beisein von Regierungsmitgliedern und von EU-Parlamentschef Martin Schulz sowie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker statt. Das Mémorial war vollständig umgebaut worden: von einem französischen Ort der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg zu einem Museum für die Jugend beider Länder
Im Beinhaus von Douaumont enthüllten die beiden Staatsoberhäupter eine Erinnerungstafel, die erstmals auch die dort begrabenen deutschen Soldaten einschließt. Die Knochen von 130.000 Deutschen und Franzosen sind dort zu finden, aber erst seit zwei Jahren steht auch ein deutscher Namen auf den Tafeln im Eingang.
Als Symbol des Neubeginns nach der Schlacht vor 100 Jahren inszenierte der deutsche Filmregisseur Volker Schlöndorff die Begleitzeremonie. 3.400 französische und deutsche Jugendliche rannten in bunten T-Shirts aus den umliegenden Wäldern über den Friedhof vor dem Beinhaus, stürmten vorbei an den weißen Kreuzen und simulierten Zweikämpfe, bis ein Sensenmann auf Stelzen das Feld betrat.
Beim ersten Besuch einer deutschen Kanzlerin im Rathaus von Verdun hatte Merkel zuvor dem Bürgermeister den De Gaulle-Adenauer-Preis für die Stadt überreicht. "Wir alle sind dazu aufgerufen, Erinnerung auch künftig Wachzuhalten", betonte Merkel. "Denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann auch Lehren aus ihr ziehen und damit dann eine gute Zukunft gestalten."
Besuch des Soldatenfriedhofs
Gemeinsam mit Hollande besuchte sie zuvor den deutschen Soldatenfriedhof. Beim Besuch der Krieggräberstätte in Consenvoye legten Merkel und Hollande am Morgen gemeinsam mit deutschen und französischen Kindern einen Kranz nieder. Der Präsident und die Kanzlerin waren zuvor unter dem von Hollande gehaltenen Regenschirm über den Friedhof gegangen. Sie suchten demonstrativ nicht ein stärkeres Bild abzugeben als die sich an den Händen haltenden François Mitterrand und Helmut Kohl im Jahre 1984: Deutsch-französisch ist normal geworden, lautet die Botschaft.
Sinnbild der Grausamkeit
Bei Verdun im Nordosten Frankreichs hatten sich deutsche und französische Truppen 1916 im Ersten Weltkrieg mörderische Kämpfe geliefert, die letztlich aber den Frontverlauf nicht veränderten. In zehn Monaten starben in der "Hölle von Verdun" mehr als 300.000 Soldaten beider Länder. Die Schlacht gilt als Sinnbild für die Grausamkeit des Ersten Weltkriegs.
chr/se (dpa, afp)