Die Fassade der Einigkeit
15. September 2016Früher wurde Europa in Krisenzeiten vom deutsch-französischen Motor angetrieben, aber der kann nicht mehr gestartet werden. Vor dem Hintergrund neuer Blockbildungen in der EU, des Brexit-Votums und des lahmen Wirtschaftswachstums in Südeuropa verfolgen Paris und Berlin immer weniger gemeinsame Ziele. Dennoch versuchen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande bei einem Treffen in Paris, ihre Positionen für den EU-Gipfel am Freitag in Bratislava abzustimmen, um zumindest den Anschein der Einigkeit zu erhalten.
Gemeinsame Pläne
Es gibt gemeinsame Vorhaben, vor allem um diese wird es bei dem Treffen gehen. Zugleich wird man versuchen, Differenzen herunterzuspielen. Deshalb werden Merkel und Hollande die Verteidigungsunion, die beide Länder seit langem anstreben, als großen Erfolg darstellen. Man wird sehen, wie konkret sie dazu werden wollen: Geplant sind unter anderem ein gemeinsames Hauptquartier und Zusammenarbeit in den Bereichen Beschaffung, Logistik und Finanzierung.
Im August hatten die Innenminister beider Länder bereits ein Projekt zur Verbesserung der inneren Sicherheit vorgestellt. Jetzt geht es um mehr: Zusammenarbeit beim Militär. Mit diesen Plänen will man die diffuse Angst der Bürger bekämpfen, die mit zur neuen Europaskepsis beigetragen hat. Die EU will zeigen, dass sie sich und ihre Grenzen verteidigen und kontrollieren kann.
Worum geht es für Angela Merkel?
Für die Bundeskanzlerin ist die Lage in Europa derzeit unerfreulich: Ihre Vorbereitungstreffen mit mehreren osteuropäischen Ländern waren kühl und wenig ertragreich. Die Visegrad-Staaten zeigen sich als neuer Block auf Konfrontationskurs zur westlich geprägten EU.
Ein zweiter Block hat sich gerade im Süden formiert - ausgerechnet auf Einladung des Griechen Alexis Tsipras. Der "Club Med" der Mittelmeerländer will mehr Geld ausgeben, kämpft gegen die deutsche Sparpolitik und gegen den Stabilitätspakt. Zudem fordern die Südländer Investitionsprogramme, die Vergemeinschaftung von Schulden, eine gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung und anderes mehr.
Auch François Hollande trat jüngst beim Treffen des "Club Med" auf, blieb aber vorsichtig in seiner Rhetorik gegenüber "deutschen Fehlern". Dass der französische Präsident überhaupt mitmacht, obwohl er seit Jahren größte Toleranz beim Schuldenmachen genießt, ist für Merkel eine Provokation. Sie braucht Holland weiter als Verbündeten, denn der Nimbus auch ihrer Macht ist geschwächt. Dennoch geht nichts ohne sie in Europa.
Berlin weiß, dass Hollande politisch am Ende ist, will ihn aber im Boot behalten. Das Bild von deutsch-französischem Streit wäre fatal.
Was will François Hollande?
Der französische Präsident verharrt im absoluten Umfragetief. Er hat praktisch keine Chance, die Wahlen im Mai zu gewinnen, kann sich aber nicht entscheiden zu verzichten. Politisch ist er eine lahme Ente. Dennoch versucht er, das Bild des "business as usual" aufrechtzuerhalten, und sich weiter als wichtiger Staatschef in Europa zu zeigen.
Für die verbleibenden Monate seiner Amtszeit will er die Fassade einer funktionierenden Regierung aufrechterhalten. Dabei hilft ihm Angela Merkel, die zwar auch Probleme mit ihren Wählern hat, im Vergleich zu Hollande aber noch glänzend dasteht.
Die alten deutsch-französischen Projekte für mehr Zusammenarbeit in der Eurozone oder die Vertiefung der EU sind auf die hintere Herdplatte geschoben. Jetzt geht es nur noch darum, "die Reste zusammenzuhalten", wie Offizielle beider Länder sagen.
Das Duo ist eigentlich ein Trio
Merkel und Hollande haben übrigens noch ein weiteres gemeinsames Projekt: Rettet Matteo Renzi. Sie wollen alles tun, um den italienischen Regierungschef zu stabilisieren und im Amt zu halten. Denn er muss im Winter ein gefährliches Referendum überstehen.
Sollte aber in Italien die Cinque-Stelle-Partei an die Macht kommen und auf den Brexit ein Itexit folgen, wären der Euro und Europa am Ende. Die Bundeskanzlerin und der französische Präsident kennen den Ernst der Lage.