Ohne Alternative
22. November 2006"Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen werde." Mit diesen Worten legte Angela Merkel am 22. November 2005 ihren Amtseid als Bundeskanzlerin ab. Keine Selbstverständlichkeit. Denn nach der nur hauchdünn vor den Sozialdemokraten gewonnenen Bundestagswahl hatte Noch-Kanzler Gerhard Schröder zunächst ihren Führungsanspruch brüsk zurückgewiesen. "Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, indem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden?", fragte der Bundeskanzler Schröder noch am Wahlabend.
Dass man Angela Merkel einmal in der Frühzeit ihrer Blitzkarriere in der CDU, die kurz nach der Wende begann, als "Kohls Mädchen" bezeichnet hatte, war damals schon kaum noch vorstellbar. Dafür hatte sie zu zielstrebig die Spitzenposition in der Partei angesteuert, und sich dabei auch von Schwergewichten wie ihrem früheren Mentor Helmut Kohl, dem damaligen Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble, oder dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber nicht aufhalten lassen.
Merkel am Ziel
Und am Ende bekam sie ihren Willen: Die ersten Tage der Kanzlerschaft widmete sie der Außenpolitik. Sie stellte das zuletzt gestörte Vertrauensverhältnis zu den Vereinigten Staaten wieder her, ohne auf Kritik - etwa an dem Gefangenenlager Guantanamo - zu verzichten. Merkels Meisterstück aber wird die Vermittlung im verfahrenen Streit zwischen England und Frankreich über die langfristige Finanzierung der Europäischen Union.
Es zahlt sich auch für Angela Merkel bei den Wählerumfragen aus, wo sie auf rekordverdächtige Beliebtheitswerte ansteigt. Doch je mehr die Umsetzung innerer Reformen Gestalt annimmt, umso mehr bröckelt diese Zustimmung wieder. Die schwierigste Reform: Die des Gesundheitswesens. Beide Koalitionspartner waren dazu mit völlig konträren Konzepten in den Wahlkampf gezogen.
Keine Alternative
Tatsächlich gelingt ein gemeinsames Reformkonzept. Aber es stößt bei sämtlichen Interessengruppen auf heftige Ablehnung - und in der Bevölkerung auf Unverständnis ob seiner Komplexität. Prompt sacken die Regierungsparteien in den Umfragen auf Rekordtiefen. Aus Merkels CDU mehren sich die Mahnungen, mehr auf die Bedürfnisse der kleinen Leute zu achten - sonst seien keine Wahlen zu gewinnen. Tatsächlich erleben die Christdemokraten bei den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ein Desaster.
Angela Merkel hält jedoch an ihrem Kurs fest: "Ich ziehe den Schluss, dass wir weiterarbeiten müssen. Wir haben in den letzten Monaten nicht nur publikumswirksame Entscheidungen getroffen. Dennoch gibt es für mich keine Alternative."
Innenpolitische Erfolge
Immerhin: Einige Vorhaben sind erfolgreich umgesetzt, darunter die Föderalismus-Reform, an der ihr Vorgänger zwei mal gescheitert war. Die Wirtschaft läuft gut, die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Staatsverschuldung ist gebremst. Nun hofft Angela Merkel, dass sie
mit der deutschen Präsidentschaft in der Europäischen Union und bei der G8 der führenden Industriestaaten wieder an die außenpolitischen Erfolge ihrer Anfangszeit anknüpfen kann.