Merkels Gegner bringen sich in Stellung
28. Juni 2018Es darf auch kurz gelacht werden bei diesem Gipfel, den die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung am Morgen zu einem "Schicksalsgipfel" für die Europäische Union erhoben hatte. Da Belgien heute gegen England parallel zum Gipfeltreffen der 28 Staats-und Regierungschef bei der Fußball-Weltmeisterschaft spielt, schenkte der belgische Premier Charles Michel der britischen Premierministerin Theresa May ein belgisches Fußball-Trikot.
May, die sonst wegen des Brexits eher wenig zu lachen hat, schien sich köstlich zu amüsieren. Ob gegenüber der Bundeskanzlerin mitleidige oder sogar schadenfrohe Äußerungen fielen, weil die deutsche Fußballmannschaft ausgeschieden war, ist nicht überliefert.
Mitleid und Schadenfreude werden vielleicht auch bei den Beratungen über die Migrationspolitik der EU beim Abendessen in Brüssel eine Rolle spielen. Alle wissen natürlich, wie sehr Angela Merkel innenpolitisch unter Druck steht, weil ihre konservative Schwesterpartei CSU aus Bayern handfeste Ergebnisse fordert. CSU-Innenminister Horst Seehofer fordert Zurückweisungen von Flüchtlingen direkt an der Grenze, wenn sie zum Beispiel schon in Italien registriert wurden. Die Bundeskanzlerin (CDU) lehnt das ab und würde wohl ihren Innenminister feuern, wenn dieser kommende Woche gegen ihre Anweisungen handelt. Der Bundeskanzler von Österreich ließ wissen, dieser EU-Gipfel müsse nun die falsche Flüchtlingspolitik korrigieren, die Angela Merkel im September 2015 mit der ausnahmsweisen Öffnung der Grenze ausgelöst habe.
Italien droht mit einem Veto
Bundeskanzlerin Merkel setzt auf eine europäische Lösung, nicht auf nationale Alleingänge. Sie will gleichzeitig bilaterale Abkommen mit den Erst-Aufnahmestaaten schließen, um abgewiesene Migranten zurückschicken zu können. Frankreich und Ungarn haben signalisiert, dass sie zu solchen bilateralen Absprachen bereit wären. Konkrete Verhandlungen gibt es nach Angaben aus deutschen Regierungen noch keine, sondern eher "politische Willensbekundungen".
Das Schlüsselland Italien allerdings lehnt die Rücknahme von Flüchtlingen aus Deutschland ab. Italiens populistischer Premierminister Giuseppe Conte fordert das gesamte "Dublin-System" abzuschaffen, nach dem die Staaten der Ersteinreise - also zurzeit Italien, Griechenland, Spanien - für die Asylbewerber zuständig sind. Italien will überhaupt keine Asylbewerber mehr aufnehmen und verlangt eine Verteilung der Schutzsuchenden und Migranten auf alle EU-Staaten nach einer festgelegten Quote. Das wiederum lehnte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erneut strikt ab. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban setzte noch einen drauf und verlangte die Rückführung bereits anerkannter Flüchtlinge aus Europa.
Italien droht mit einem Veto gegen gemeinsame Erklärungen des EU-Gipfels, sollten die EU-Partner Rom beim Thema Asyl nicht entgegenkommen. So seien laut EU-Ratspräsident Donald Tusk bereits erste Beschlüsse in anderen Bereichen nicht zum Abschluss gekommen. Aus italienischen Kreisen hieß es, "solange es keine Vereinbarung zu allem" gebe, werde es auch kein grünes Licht zu anderen Gipfelbeschlüssen geben.
"Krise der Konservativen"
Donald Tusk, der die angespannte Sitzung leitet, hatte vor dem Gipfeltreffen bereits davor gewarnt, dass die zunehmend stärker werden populistischen Regierungen in der EU, also etwa in Italien, Österreich oder Ungarn, mit schrillen Thesen Stimmung machen würden. Tusk wies darauf hin, dass die Ankunftszahlen in der EU drastisch gesunken seien. "Von einer Krise kann eigentlich keine Rede sein. Das ist keine politische, sondern eine ideologische Krise", sagte der Fraktionschef der Sozialisten im Europäischen Parlament, Udo Bullmann, der DW. "Die Konservativen in Deutschland streiten darum, wer für die Verluste bei den bayrischen Landtagswahlen (im Oktober) verantwortlich ist. Das ist die wahre Geschichte."
Die rechtspopulistische AfD schneidet in Bayern in Umfragen gut ab. Die konservative Regierungspartei CSU könnte ihre absolute Mehrheit verlieren. Diese Analyse schien auch der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel zu teilen. Er sagte, man könne sich nicht von "irgendeiner bayerischen Partei" sagen lassen, welche Richtung Europa zu nehmen habe.
Dürre Zeilen für Merkel
Zur Verhinderung der sogenannten Sekundärmigration finden sich in den vorbereiteten Gipfelbeschlüssen ein, zwei Sätze, die aber an der Lage an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich nicht viel ändern werden, vor allem nicht so schnell, wie die CSU das fordert. Dort heißt es, "die Mitgliedsstaaten sollten alle nötigen legislativen und administrativen Schritte einleiten, um solcher Migration zu begegnen. Dazu sollten sie untereinander eng kooperieren." Es soll verhindert werden, dass registrierte Asylsuchende in ein zweites Land wandern, um dort Asyl zu beantragen, was nach den europäischen Asylregeln nicht statthaft ist.
Lager außerhalb der EU
Relativ einig sind sich die Staats- und Regierungschefs, dass man jetzt auf Aufnahme- oder Ausschiffungs- oder Anlandungszentren außerhalb der EU setzen sollte. Donald Tusk hatte vorgeschlagen, in diesen Lagern in Nordafrika Menschen unterzubringen, die aus Seenot auf dem Mittelmeer gerettet wurden und Asyl in der EU beantragen wollen.
Die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, teilte mit, sie habe mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) ein entsprechendes Konzept ausgearbeitet, wie diese Lager human und legal gestaltet werden könnten. Das Geschäftsmodell der Schleuser soll so zerstört werden. Einzelheiten teilte sie nicht mit. Der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wiederum gab an, er sei mit den relevanten Ländern, die ein solches Lager aufnehmen könnten, im Gespräch. Juncker warnte aber vor neo-kolonialistischem Verhalten. "Ich mache darauf aufmerksam, dass wir hier in Brüssel nicht entscheiden können für die nordafrikanischen Länder. Ich bitte da um einiges an Zurückhaltung."
Kritik am "Auslagern"
Libyen, Tunesien, aber auch Albanien, das von Österreich ins Spiel gebracht wurde, haben es abgelehnt, Gastgeber für die "EU-Anlandungszentren" zu spielen. Viele Hilfsorganisationen sehen das Konzept kritisch. Ein Bündnis von "Pro Asyl", Diakonie und 15 anderen Gruppen erklärte, man wende sich "gegen die Vorschläge, Schutzsuchende in Staaten vor Europas Grenzen aus- beziehungsweise zwischenzulagern." EU-Diplomaten bestritten, dass diese Lager irgendwie bewacht werden müssten. Auf die Frage, wie die Menschen dazu bewegt werden sollten, aus den Zentren wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren, gab es keine schlüssige Antwort. Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte vorgeschlagen, die Ankunftszentren in zehn Häfen rund um das Mittelmeer, also auch innerhalb der EU einzurichten. Dafür bekam er wenig Unterstützung, denn aus diesen Lagern heraus, müssten die Menschen wieder auf die gesamte EU verteilt werden. Da wäre wieder die nicht vorhandene Solidarität gefragt.