Merkels heikle Türkei-Mission
31. Januar 2017Es ist eine Dienstreise mit schwerem Gepäck. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag nach Ankara reist, dann ist ihr die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit sicher. Es ist Merkels erste Reise in die Türkei, seit dem gescheiterten Militärputsch am 15. Juli. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat das Land seither in autokratischer Manier umgebaut.
Zehntausende Oppositionspolitiker, Journalisten, Staatsanwälte und gewöhnliche Bürger wurden inhaftiert. Kritische Medien wurden geschlossen, kurdische Oppositionsbündnisse aufgelöst. Der Vorwurf lautet immer gleich: Die Betroffenen sollen am gescheiterten Putschversuch beteiligt gewesen sein. Die türkische Regierung macht die Anhänger der Gülen-Bewegung für den Umsturzversuch verantwortlich.
Internationale Kritik an ihren Repressionen weist die islamisch-konservative AKP-Regierung inzwischen routiniert zurück. Im Gegenzug bezichtigt sie die Bundesregierung, es im Kampf gegen den vermeintlichen Terrorismus an Solidarität mangeln zu lassen. Zudem biete Deutschland der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ein Rückzugsgebiet, um Geld und Kämpfer zu beschaffen, heißt es.
Opposition befürchtet Wahlkampfhilfe für Erdogan
Keine guten Vorzeichen für Merkels Türkeibesuch. Die Reise nach Ankara viele Oppositionspolitiker ohnehin für ein völlig falsches Signal. Für die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen kommt Merkels Visite "zur Unzeit". Wenige Wochen vor dem geplanten Verfassungsreferendum in der Türkei könne die Anwesenheit der Kanzlerin nur als Unterstützung für Recep Tayyip Erdogan gewertet werden, sagte Dagdelen im Deutschlandfunk. Erdogans Regierungspartei AKP hatte vor mehr als einer Woche die Verfassungsreform für ein Präsidialsystem durchgesetzt. Das System würde dem Staatspräsidenten deutlich mehr Macht verleihen.
Die Grünen-Politikerin Claudia Roth fühlt sich an die Tage von Merkels letzter Türkeivisite 2016 erinnert. Dieses Treffen habe Erdogan als willkommene Plattform für seinen Wahlkampf missbraucht, sagte Roth der Nachrichtenagentur DPA. Das jetzt anstehende Referendum diene der "Abschaffung der parlamentarischen Demokratie".
Schweige Merkel zu den Menschenrechtsverbrechen in der Türkei, so Roth, dann signalisiere sie Erdogan, dass er Europa mit der Androhung der Grenzöffnung für Flüchtlinge erpressen könne. Der EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei hat die Zahl der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge stark verringert. Die Regierung in Ankara hatte wiederholt gedroht, den Pakt zu kündigen.
Deutschlands Regierungssprecher Steffen Seibert wies derlei Kritik an Merkels Türkei-Besuch entschieden zurück. "Jeder Gedanke, dass damit irgendeine Positionierung der Bundeskanzlerin bei dem anstehenden türkischen Verfassungsreferendum verbunden wäre, ist absurd", so Seibert. Bei der Reise handle es sich um einen Arbeitsbesuch bei einem NATO-Partner und zu einem wichtigen Nachbarstaat der Europäischen Union. "Gerade in diesen Zeiten, in denen wir über die syrische Lage sprechen müssen, in denen es bilaterale Fragen gibt und in denen wir über die Beziehungen der Türkei zu Europa sprechen müssen, in diesen Tagen ist es wichtig, das Gespräch zu suchen" so Seibert.
Amnesty: Merkel-Besuch fehlt Menschenrechts-Agenda
Doch Regierungsgespräche allein reichen nicht. Marie Lucas, Türkeiexpertin von Amnesty International Deutschland, fordert die Bundeskanzlerin dazu auf, die Einhaltung von Menschenrechten aktiv einzufordern. "Merkel muss die Inhaftierung friedlicher Regierungskritiker ansprechen und sollte sich auch mit Oppositionellen und verfolgten Menschenrechtlern treffen", so Lucas. "Deutschland hat ganz offensichtlich noch Einfluss und sollte diesen auch nutzen."
Bei der Aushandlung des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei habe es die Bundesregierung versäumt, so die Aktivistin, einen echten Menschenrechtsdialog zu institutionalisieren. "Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es gerade bei der Verfolgung einzelner Regierungskritiker genützt hat, wenn von Regierungen anderer Länder Einspruch erhoben wurde." Bislang bleibe die Bundesregierung schmallippig, insbesondere was das Thema Folter in türkischen Gefängnissen angehe, sagt Lucas. "Nach unseren Recherchen wurden Menschen, denen eine Beteiligung am Putsch nachgesagt wurde, massiv gefoltert. Dazu hat die Bundesregierung bislang nicht viel gesagt."
Wie türkische Asylanträge zum Politikum werden
Mancher Beobachter vermutet, dass es dafür handfeste Gründe gibt. Jüngst wurde bekannt, dass rund 40 türkische Offiziere nach dem Putschversuch in Deutschland Asyl beantragt haben. Die Offiziere, die auf NATO-Basen stationiert waren, fürchten bei einer Rückkehr in die Türkei um ihre Freiheit, viele auch um ihr Leben. Der türkische Verteidigungsminister Fikri Isik warnte die Bundesregierung auf CNN Türk davor, die Asylanträge anzunehmen. Den Anträgen stattzugeben "würde sehr ernste Folgen mit sich bringen."
Die Bundesregierung hebt hervor, dass die Asylverfahren nach dem üblichen Verfahren geprüft würden. Entscheidend seien die Regelungen des deutschen Asylrechts, die "Einzelfall für Einzelfall von der zuständigen Behörde geprüft würden." Ob diese Antwort der türkischen Regierung ausreichen wird, könnte Merkels Erfolgsbilanz des Besuchs mitbestimmen. In vielerlei Hinsicht, eine heikle Mission, was auch andere so sehen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (B90/Grüne), bekannt als Merkel-Freund, wünschte der Kanzlerin von Stuttgart aus alles Gute: Er beneide sie um diese Aufgabe nicht. "Aber wer, wenn nicht sie, kann das", meint Kretschmann.