Gamesbranche im Höhenflug
24. August 2021Eine schlechte Nachricht zuerst: Auch in diesem Jahr werden als Super Mario, Lara Croft oder auch Gerald von Rivia verkleidete Menschen wohl abermals nicht in Scharen durch Köln marschieren. Zum zweiten Mal in Folge ist die Gamescom digital angelegt. Die gute Nachricht: Wer in Vor-Corona-Zeiten 20 Euro für ein Tagesticket bezahlt hat, der kann sich nun umsonst auf die weltweit größte Computer-Spielemesse der Welt aufschalten.
Die diesjährige Gamescom setzt unter dem Motto Die neue Realität anders als die analogen Vorreiter vor allem auf Reichweite und will so noch mehr Menschen als 2020 erreichen. Damals verfolgten zwei Millionen Menschen den Eröffnungsabend digital. Insgesamt schauten mehr als 50 Millionen Menschen zumindest einmal auf der digitalen Gamescom vorbei.
Der Chef der Kölnmesse, Oliver Frese, hat sich für die diesjährige Gamescom mächtige Kooperationspartner gesucht: Dazu gehören die Amazon-Tochter Twitch, Facebook-Gaming, Youtube, aber auch chinesische Streamingdienste wie Douyu oder Bilibili. "Durch die Reichweite wird die Veranstaltung auch für Plattformen attraktiv", so Frese. Durch die Zusammenarbeit mit 60 internationalen Unternehmen aus der Spielbranche habe man die Kooperationen im Vergleich zu 2020 verdoppeln können. Hinzu kämen mehr als 255 kleinere Spieleschmieden, die im Rahmen der Gamescom ihre Neuheiten und Dauerbrenner präsentierten.
Games als Pandemie-Gewinner
Die Games-Industrie zählt zu den großen Pandemie-Gewinnern. Schon im vergangenen Jahr wuchs die Branche rasant. "Eigentlich waren wir davon ausgegangen, dass das Wachstum danach erst mal stagniert", sagt Felix Falk, Geschäftsführer des Branchenverbandes Game. Doch auch die Zahlen für das erste Halbjahr 2021, die sein Verband hat ermitteln lassen, setzen neue Maßstäbe. Demnach lag der Umsatz von Hard- und Software bei Computer- und Videospielen bei 4,6 Milliarden in Deutschland nach 3,8 Milliarden im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. Insgesamt ein Anstieg um 22 Prozent.
Auch eine Umfrage des Digitalbranchenverbands Bitkom hat ergeben, dass in Deutschland mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung zumindest gelegentlich spielt. Zuwachs gibt es demnach in allen Altersgruppen - wobei vor allem die Senioren ab 65 die Gruppe mit dem größten relativen Zuwachs darstellt. Die größte Zockergemeinde bleibt aber die Gruppe der 16 bis 29-Jährigen. Auch ein Ergebnis der Bitkom-Umfrage: Wurden vor der Pandemie noch im Schnitt fünf Stunden in der Woche gespielt, so sind es aktuell 8,5 Stunden, die Befragten vor der Konsole, dem Rechner oder dem Smartphone sitzen. Mehr als drei Viertel aller Spieler bezahlen auch dafür.
Deutschland weiter Spiele-Entwicklungsland
Obwohl Deutschland beim Umsatz mit Computerspielen weltweit in der ersten Liga spielt, stammen laut dem Branchenverband Game nur fünf Prozent der Spiele auch von hier. "Das liegt daran, dass andere Länder schon vor vielen Jahren verstanden haben, dass die Games-Branche eine ganz wichtige Zukunftsbranche ist und ganz explizit unterstützen so wie in Kanada, Frankreich, England und Polen. Deutschland hat das ein bisschen verpasst", sagt Lobbyist Falk.
Seit 2019 fördert Deutschland die Gamesbranche mit rund 50 Millionen im Jahr. Das habe die Ausgangsbedingungen bereits verbessert, sagt Falk. "Wenn wir wirklich weltweit an die Spitze wollen, dann müssen auch Themen wie Breitbandausbau, Fachkräfte oder digitale Bildung in den nächsten Jahren wirklich noch nach vorne kommen." Bisher ist Deutschland als Standort für Entwickler von Spielen nicht attraktiv genug. So gibt es in deutlich kleineren Ländern wie Schweden oder Finnland mehr Programmierer als hierzulande (siehe Grafik).
Spielebranche "netflixisiert" sich
Deutschland habe allerdings einige Hidden Champions beispielsweise bei Browser- und Strategiespielen, so Falk. "Davon brauchen wir in Zukunft noch viel mehr. Weil wir wollen partizipieren, sowohl wirtschaftlich als auch technologisch und kulturell."
Ob die deutschen Spieleentwickler von den aktuellen Trends profitieren können, wird sich zeigen. Großen Zuwachs verzeichnen derzeit vor allem Live-Gaming-Events. Dabei werden auf Plattformen wie Twitch Spiele gespielt, bei denen der Nutzer direkt mit den Spielenden interagieren kann. Die Streaming-Plattformen werden auch immer häufiger von Koch- und Talkshows genutzt, um auf den direkten Dialog mit dem Publikum zu setzen.
Größter finanzieller Umsatztreiber der Branche sind nach wie vor Käufe, die Spieler innerhalb eines Spiels oder ein App tätigen - rund zwei Milliarden Euro wurden in Deutschland im ersten Halbjahr 2021 dafür ausgegeben - fast die Hälfte des Gesamtumsatzes. Immer mehr Spieler setzen mittlerweile auf sogenannte Spiele-Abos. Dabei bekommen Nutzer für einen monatlichen Grundbetrag Zugriff zu den neusten Spielen - häufig geben sie dann aber wieder Geld innerhalb eines Spiels aus - beispielsweise für mehr Munition oder eine neue Rüstung. Die langsame Netflixisierung der Branche führt aber auch dazu, dass Spieler etwas weniger Geld direkt für Spiele ausgeben (siehe Grafik).
Globale Industrie mit globalen Problemen
Auch die Nachfrage nach Games-Hardware wie Grafikkarten und Konsolen steigt weiter. Hier ist die hochdigitalisierte Spielebranche von den derzeitigen Lieferproblemen der analogen Welt betroffen. So haben laut der Bitkom-Umfrage in den vergangenen Monaten nur fünf Prozent ohne Verzögerungen eine neue Konsolen erhalten. Fast ein Drittel wartet noch heute auf die Bestellung. Die Lieferprobleme erschwerte die Einführung neuer Produkte, sagt auch Felix Falk.
Von Problemen will die Branche auf der Gamescom erst mal nichts wissen. Hier geht es vor allem darum, sich zu feiern. Den Anfang macht am Mittwochabend der US-amerikanische Games-Moderator Geoff Keighley. Zwei Stunden lang wird er durch das Programm führen. Bis zum 27. August sollen es dann Millionen werden, die den Fabelwesen der Computerwelt zumindest digital in Scharen hinterherlaufen.