Messen wagen den Neustart
27. Mai 2020Heute wäre es losgegangen in Köln: Die Photokina sollte ihre Tore öffnen und einen weiteren Schritt machen, von der früheren Leitmesse für klassische Fotografie hin zum Marktplatz für alles, was mit Bildern zu tun hat. Auf die Digitalisierung setzen - das war das Credo der Messemacher in der Domstadt. Dass die Corona-Krise zur Absage der Photokina und einer ganzen Reihe anderer Messen führen würde und dass die Computerspielemesse Gamescom im August komplett in den digitalen Messe-Cyberspace umziehen müsste - all das war vor wenigen Monaten unvorstellbar.
Mittlerweile geht es, so sagt es Kölnmesse-Chef Gerald Böse, darum, "gut strukturierte, Corona-konforme Fachmessen durchzuführen".
Hunderttausende Besucher wie bei den großen deutschen Leitmessen wird es auf absehbare Zeit dabei genauso wenig geben, wie Meldungen der Messegesellschaften über neue Rekorde bei der Ausstellerbeteiligung oder Quadratmeter-Rankings der vermieteten Flächen.
In Zukunft ist Abstand zwischen den Messeständen Pflicht und selbst Publikumsmagneten wie die Internationale Funkausstellung (IFA) in Berlin müssen in Corona-Zeiten kleinere Brötchen backen.
Wenn vom 3. bis zum 5. September mit der IFA 2020 Special Edition die Funkausstellung in abgespeckter Form für Fachbesucher und Medienvertreter ihre Pforten öffnet, dann ist das vor allem ein Aufbruchsignal. "Nach all den Veranstaltungsausfällen der vergangenen Monate braucht unsere Branche dringend diese Plattform, um ihre Innovationen zu präsentieren", betont Jens Heithecker, der bei der Berliner Messe für die IFA zuständig ist. Die Rückendeckung der Behörden hat er, so lange die in einer Messehalle vorsorglich eingerichtete Corona-Notklinik nicht gebraucht wird.
Sicherer Abstand statt maximaler Hallenauslastung - für die Messemacher bedeutet das ein völliges Umdenken. Um die Funkausstellung überhaupt stattfinden lassen zu können, wird die IFA auf vier parallel laufende Events mit jeweils maximal 1000 Teilnehmern geschrumpft.
Lange Durststrecke
Die Umsatzausfälle sind für die großen deutschen Messebetreiber zwar hart, aber wohl zu schultern. Zum größten Teil sind sie im Landes- und kommunalen Besitz und viele konnten in den vergangenen Jahren Geld auf die hohe Kante legen. Wie die Kölnmesse, die nach Angaben ihres Finanzchefs Herbert Marner über ein Liquiditätspolster von 120 Millionen Euro verfügt.
"Die KölnMesse gehört nicht zur Risiskogruppe", auch wenn sie am 11. Mai ihren 96. Geburtstag gefeiert habe, verkündete Kölnmesse-Chef Gerald Böse optimistisch auf der Bilanzpressekonferenz Ende Mai.
Doch auch, wenn es im September in Köln wieder losgeht mit der Sport- und Gartenmesse Spoga+Gafa und die Messemacher mit immerhin 70 bis 80 Prozent der Besucher des Vorjahres rechnen, könnte es für viele Messe-Dienstleister eng werden.
Standbauer kämpfen gegen die Pleite
"Noch bevor Messen wieder durchgeführt werden können, werden weite Teile der Veranstaltungsbranche insolvent sein", befürchtet der Geschäftsführer des Fachverbands Messe- und Ausstellungsbau (FAMAB), Jan Kalbfleisch.
Nach rund vier Monaten ausgefallener Messen und Veranstaltungen drohe bereits im Juni eine große Kündigungswelle, weil vielen Betrieben die Liquidität ausgehe, befürchtet Kalbfleisch. Nach den Schätzungen seines Verbandes könnten 250.000 Menschen betroffen sein.
Der Verband der Messebauer listet 98 Messen auf, die seit März abgesagt oder verschoben wurden und beziffert den Gesamtschaden auf mehr als 3,5 Milliarden Euro. In der Rechnung sind neben dem reinen Standbau auch andere Leistungen wie Konzeption, Planung, Catering und technische Dienstleistungen enthalten.
Volkswirtschaftlich gesehen ist die Messebranche nach Berechnungen des Münchener Ifo-Instituts knapp 30 Milliarden Euro schwer. Dazu kommen nach Berechnungen des Dachverbands der deutschen Messewirtschaft AUMA rund 4,5 Milliarden Euro an Steuereinnahmen und - bis zur Corona-Krise - mehr als 230.000 Jobs.
Das Institut der Deutschen Messewirtschaft, das sich unter dem Dach des Messeverbandes Auma in Berlin auch mit den Folgen der Coronakrise beschäftigt, geht durch die bisherigen Messe-Absagen von Verlusten für die deutsche Volkswirtschaft von 9,25 Milliarden Euro aus - und das sei noch sehr konservativ geschätzt, unterstreicht der Leiter des Instituts, Hendrik Hochheim. Er sieht 76.400 Arbeitsplätze in Gefahr und einen Einnahmeverlust für den Fiskus von knapp 1,5 Milliarden Euro. Und dabei geht seine Rechnung davon aus, dass die aus dem Frühjahr in den Herbst 2020 verschobenen Messen auch tatsächlich stattfinden. Sollten auch diese Veranstaltungen ausfallen, läge der Schaden deutlich höher.
Internationale Messen im September und Oktober
Die Messegesellschaften in Köln und Berlin sowie die Messe Düsseldorf halten an ihren Messeplänen für den September fest. Trotz Absagen großer Aussteller wie Hymer planen die Düsseldorfer ihre Camping-Messe Caravan-Salon vom 5. bis zum 13. September.
In Hannover wurde dagegen die für Ende September geplante Messe "IAA Nutzfahrzeuge" abgesagt und um ein Jahr verschoben. Und in Frankfurt wurden die für September geplanten Messen Automechanika und Light + Building um ein bis anderthalb Jahre verschoben. Die traditionsreiche Frankfurter Buchmesse soll aber im Oktober stattfinden.
Die Light + Building, die sich als globale Leitmesse für Licht und Gebäudetechnik sieht, hatte ursprünglich im März stattfinden sollen. Dann war sie auf September verschoben worden, weil Aussteller und Fachbesucher aus China und Italien die größten ausländischen Teilnehmergruppen stellen - damals die am schlimmsten betroffenen Länder der Corona-Epidemie.
Ob im September und Oktober auch Aussteller und Besucher aus dem außereuropäischen Ausland nach Berlin, Köln oder Düsseldorf reisen können, ist allerdings nach wie vor unklar. Durch die weltweiten Reisebeschränkungen und Quarantänevorschriften könnte der Messeplatz Deutschland noch für eine ungewisse Zeit deutlich weniger international sein, als es die Messemacher hierzulande gewohnt sind.