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Messner: Everest ist ein banaler Berg geworden

Stefan Nestler29. Mai 2013

Inzwischen könne jeder, der in den Alpen einen leichten Viertausender bestiegen habe, auch auf den Mount Everest, sagt der Südtiroler Reinhold Messner im DW-Interview zum Jubiläum der Erstbesteigung.

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Reinhold Messner (Foto: DW/Stefan Nestler)
Bild: DW/S. Nestler

DW: Reinhold Messner, blicken wir zunächst zurück auf den 29. Mai 1953, als der Neuseeländer Edmund Hillary und der Sherpa Tenzing Norgay als erste Menschen den Gipfel des Mount Everest erreichten. Würden Sie sagen, dass dies eine außergewöhnliche Leistung zweier mutiger Bergsteiger war – oder doch eher eine Mannschaftsleistung?

Es war schon in erster Linie eine britische Teamleistung, denn die Briten haben das Know-how und das Geld gebracht und eine riesige Vorarbeit geleistet. Von 1921 bis 1953 waren viele Expeditionen am Everest gescheitert. Allerdings muss man auch einen Teil des Erfolgs den Schweizern zuschreiben, die 1952 zwei Versuche mit Raymond Lambert gemacht hatten (Anm.: 1997 verstorbener Schweizer Bergsteiger) und sehr hoch hinaufgekommen waren. Auch Tenzing Norgay war damals schon dabei. Sonst, glaube ich, hätten es die Briten 1953 nicht geschafft. Aber man darf auch dazu sagen, dass der Gipfelerfolg der Gabe von Hillary zu verdanken ist, es zu wagen. Die Briten haben es ja selbst versucht und sind nicht hinaufgekommen. Und dann hat dieser junge schlaksige Neuseeländer gezeigt, dass er Lust hat und den Mut, es zu wagen, obwohl die anderen gescheitert waren. So ist es gelungen, und es bleibt eine Sternstunde des Alpinismus. Dabei war Hillary nicht ein Spitzen-Extrembergsteiger, sondern ein klassischer Bergsteiger, der sehr viel Selbstverständlichkeit in sich trug. Typisch neuseeländisch.

Der Erstbesteigung folgte die sportliche Phase in den 60er, vor allem aber dann den 70er und 80er Jahren. Neue schwere Routen, der Everest im Winter bestiegen. Und Ihnen gelang 1978 mit Peter Habeler die erste Besteigung ohne Atemmaske und dann 1980 der Alleingang, wieder ohne Flaschensauerstoff, mitten im Monsun. War der Everest für Sie damals die ultimative Herausforderung?

Nach der Durchsteigung der Südwestwand durch Doug Scott und Dougal Haston (Anm. zwei britische Topbergsteiger) 1975 war mir klar, dass es nur noch darum geht, mit immer weniger Ausrüstung den Everest zu besteigen. Für mich wurde dann der Everest-Alleingang zum I-Tüpfelchen meiner Bergsteigerei: am höchsten Berg der Welt, in einer schlimmen Jahreszeit, dem Monsun, und so weit möglich noch auf neuer Route, natürlich ohne Sauerstoff.

In den 90er Jahren begann dann das kommerzielle Bergsteigen am Everest, das bis heute alljährlich das Bild am höchsten Berg der Erde prägt. Wie sehen Sie den Everest heute, 60 Jahre nach der Erstbesteigung?

Es ist immer noch der gleiche Berg. Der Sauerstoffpartialdruck ist immer noch der gleiche. Er ist auch immer noch relativ gefährlich. Ich nenne die heutige Phase den Pisten-Alpinismus. Das ist der große Unterschied. Bevor die Klienten dieser Reise-Unternehmer mit dem Aufstieg beginnen, steigen nicht nur Dutzende, sondern einhundert Sherpa auf und bereiten einen Klettersteig vor. Er ist besser vorbereitet als jeder Klettersteig in den Alpen. Dann folgen auf dieser Piste die Leute, wobei jede Schwierigkeit ausgeschlossen ist und die Gefahren minimiert werden – nicht auf Null gestellt, das ist nicht möglich.

Jetzt ist die Diskussion aufgekommen, ob man am Hillary Step, der einzig schwierigeren Stelle im oberen Bereich, eine Leiter hinstellen soll, wie seit 1975 auf der Nordseite am Second Step (Anm.: Felsstufe auf dem Nordgrat). Ich habe vorgeschlagen, man sollte vielleicht eine Ampel aufstellen wie in der Stadt, so dass man genau weiß, jetzt dürfen die einen hinauf-, die anderen heruntersteigen. Dann müssen sich die Bergsteiger auch an die Straßenverkehrsordnung halten, und es wird weniger Unfälle geben. Die sind nämlich durch das Chaos entstanden, durch das Warten und Herumstehen in der Kälte. Die Leute wurden unterkühlt und sind zum Teil auch da oben gestorben.

Durch diese Entwicklung hat sich auch der Typus der Bergsteiger am Mount Everest gravierend verändert.

Ja, weil heute viele Leute dort unterwegs sind, die gar keine oder, sagen wir, keine erfahrenen Bergsteiger sind. Die wissen, es sind so viele Leute heraufgestiegen, also ist es möglich. Im Grunde ist der Everest für jeden, der einen leichten Viertausender in den Alpen bestiegen hat, möglich, wenn der Weg präpariert ist. Ich kann Ihnen garantieren, dass von den tausend Leuten, die jetzt dort sind, keine drei Klienten überhaupt losgehen würden, wenn der Berg nicht präpariert wäre. Man hat den Berg in Ketten, in Seile und Leitern gelegt, und deshalb ist er für alle zugänglich. Ob das nun richtig oder nicht richtig ist, ist mir relativ gleichgültig. Es hat mit klassischem Alpinismus nichts zu tun. Die Leute besteigen auch nicht Hillarys Everest und auch nicht meinen, sondern sie besteigen einen anderen Berg, wenn er auch geologisch derselbe ist.

Wenn Sie dem Everest zum Jubiläum etwas wünschen könnten, was wäre das?

Ich glaube, es ist zu spät. Der Everest ist inzwischen bereits ein banaler Berg geworden. Ich glaube nicht, dass wir ihm jemals noch das Flair zurückgeben können, das er gehabt hat. Die besten Kletterer gehen generell nicht mehr zu den Achttausendern, sondern zu den schwierigsten Bergen der Welt, zu Sechs- oder Siebentausendern. Die haben alle Spielfelder offen. Aber es ist natürlich schade, dass die wirklich guten Leute weniger Möglichkeiten haben, ihre Expeditionen zu finanzieren, wenn so viel Aufmerksamkeit von den Everest-Touristen weggenommen wird.

Das Interview führte DW-Sportreporter Stefan Nestler.

Der Südtiroler Reinhold Messner hat als Bergsteiger Geschichte geschrieben. Zwischen 1970 und 1986 bestieg er als erster Mensch alle 14 Achttausender, alle ohne Flaschensauerstoff. Heute lebt der 68-Jährige in seiner Heimat Südtirol, schreibt Bücher und widmet sich seinen fünf Bergmuseen.