Microsoft überrascht chinesische Blogger
11. Januar 2006Seit Freitag (6.1.06) steht die US Software-Firma Microsoft unter heftigem Beschuss. Der Grund: Der chinesische Blogger Zhao Jing, der für die New York Times in Peking arbeitet, sah seine etwa 30 Weblog-Texte auf MSN (Microsoft Network), einem von Microsoft angebotenen Online-Dienst, gelöscht.
Dieses Ereignis hat auch Zhao Jing selbst sehr überrascht. Technisch gesehen wurde zwar MSN nicht spezifisch für Blogger entwickelt, aber MSN hat einen starken Hintergrund, nämlich Microsoft aus den USA. Aus Sicherheitsgründen bevorzugt man in China die regionalen Anbieter gegenüber MSN, um möglichst die Zensur zu umgehen, da sich die Server, auf denen Weblog-Texte gespeichert sind, in den USA befinden. Das ist die treibende Kraft, die MSN mit seinem chinesischen Partner Shanghai Alliance Entertainment zur Nummer Eins bei den Anbietern der Blog-Dienste in China gemacht hat.
Chinesischer Journalisten-Blog gelöscht
Zhao Jing hat als Journalist für die Zeitung "Globale Berichterstattung im 21. Jahrhundert" gearbeitet. Das war eine Zeitung, die sich mit ihren mutigen Reportagen und Kommentaren bereits ein Jahr nach ihrer Gründung einen Namen gemacht hat. Als sie im Jahr 2003 geschlossen wurde, war Zhang Jing gerade als Feldreporter im Irak unterwegs.
Nach der Schließung von "Globale Berichterstattung im 21. Jahrhundert" wurde Zhao bei der New York Times angestellt und als Assistent im Büro der Zeitung in Peking beschäftigt. Neben seiner journalistischen Tätigkeit ist Zhang aktiver Blogger und auf diesem Gebiet sehr erfolgreich. Sein Weblog ist in China sehr populär und die dort veröffentlichten Texte finden rasche Verbreitung. Im Jahr 2005 war er in Deutschland und hat in der Jury der zweiten Weblog-Awards der Deutschen Welle mitgewirkt.
Nachdem die Avangarde-Zeitung "Neues Beijing" kurz vor Jahresende ihren Chefredakteur entlassen musste, weil sie ausführlich und offen über die Todesfälle bei den Bauernunruhen im Dorf Shanwei in der Provinz Guangdong berichtet und damit die politische Grenze überschritten hatte, hat Zhao Jing in seinem Blog die Leser des "Neuen Beijing" aufgefordert, sich von der Zeitung zu distanzieren und gar auf dessen Kauf zu verzichten. Am 30. Dezember 2005 bemerkte Zhao, dass seine Weblog-Texte im chinesischen Internet gelöscht waren.
MSN ist kein Einzelfall
Der Fall Zhao Jing erinnert an den des Journalisten Shi Tao, der wegen Verbreitung angeblicher Staatsgeheimnisse im Internet letztes Jahr zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Im Fall Shi Tao hatte Yahoo.com sein Email-Account ermittelt und diese Information der chinesischen Sicherheitsbehörde zugespielt.
Während die Chinesen selbst sich über derartige Sanktionen nur selten aufregen, kommen von Übersee sehr kritische Stimmen. Nachdem "Reporter ohne Grenzen“ in einem Bericht die Rolle von Yahoo.com im Fall Shi Tao veröffentlicht hatte, sind in den wichtigsten Tageszeitungen und Zeitschriften aus aller Welt, außer in China selbst, in kürzester Zeit hunderte kritische Artikel über Yahoos fragwürdige Beihilfe zur Überführung des chinesischen Journalisten erschienen.
Blogger ohne "Demokratie" und "Freiheit"
Und Microsoft steht nicht zum ersten Mal im Visier. Beim vielversprechenden Start von MSN in China haben Menschenrechtsorganisationen das System getestet. Auffällig war, dass Wörter wie Demonstration, Demokratie, Freiheit, Tiananmen-Ereignis, 4. Juni usw. in der Überschrift eines Blogs nicht erscheinen konnten, ein klarer Beweis dafür, dass Microsoft eine Filterautomatik in die chinesische MSN-Version integriert hat. Jetzt, da das Blog von Zhao Jing auf MSN gelöscht wurde, steht Microsoft einmal mehr im Mittelpunkt scharfer Kritiken und gerät in Erklärungsnot.
Microsoft wehrt sich mit dem Hinweis auf seine Verpflichtung zur Einhaltung der internationalen und nationalen Gesetze. In einer am 6. Januar 2006 veröffentlichten Erklärung gibt Microsoft allerdings zu, dass in bestimmten Situationen außergewöhnliche Maßnahmen erforderlich sind, um sich im gesetzlichen Rahmen überhaupt bewegen zu können.
Chinas Worldwideweb ist stark umkämpft
Dem Konzern geht es natürlich nicht nur um Gesetze, sondern vor allem um Geld, um sehr viel Geld. Um eine totale Kontrolle über das chinesische Internet zu erreichen, arbeiten Chinesen, Amerikaner und Franzosen Schulter an Schulter zusammen. Im Rahmen des Projekts CN2 zum Beispiel sind unter anderen 200 extrem leistungsstarke Router geplant, also die Vermittlungsrechner, die für die Weiterleitung der Daten zuständig sind. Sie sollen Mitte dieses Jahres geliefert und in die Infrastruktur des chinesischen Internet eingesetzt werden. Danach würde das Internet in China einem gigantischen Intranet gleichen.
An diesem Projekt, für das die chinesische Regierung 100 Millionen US-Dollar investiert hat, sind vor allem westliche Firmen wie Juniper und Cisco sowie Alcatal beteiligt. Auch eine andere US-Firma, Verso Technologies, musste im November 2005 eingestehen, dass sie einem chinesischen Partner Software zur Überwachung der populären kostenlosen Internet-Gespräche geliefert habe.
Auch Microsoft ist in China strategisch und ökonomisch durchaus erfolgreich. Der Konzern hat mit MSN im Reich der Mitte bereits 9,5 Millionen von insgesamt 100 Millionen Usern für sich gewonnen und sieht einem Wachstum seiner Online-Dienste um jährlich 100 Prozent entgegen.