Migranten arbeiten mit Migranten
22. Dezember 2003
Der Besuch beim Arzt ist für die meisten Menschen unangenehm: Man sitzt in steriler Atmosphäre, hat Angst vor dem Ergebnis der Behandlung und hört medizinische Fachbegriffe, die man als Laie nicht versteht. Wie muss es da erst sein, wenn man nicht einmal die Landessprache kennt? Das Ergebnis: Verunsicherung und Frustration bei Arzt und Patient. Ursache für die Verständigungsprobleme sind nicht nur sprachliche Barrieren, sondern häufig auch kulturelle Missverständnisse.
Für mehr als sieben Millionen Migranten in Deutschland gehören solche Situationen zum Alltag. Sie kommen in die Bundesrepublik auf der Suche nach besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen - und nach einer neuen Heimat. Doch die wenigsten sprechen Deutsch. Wer von ihnen zum Ausländeramt oder ins Krankenhaus muss, ist hilflos, wenn er keinen Freund oder Verwandten findet, der ihn begleitet und für ihn übersetzt.
Keine Aufenthaltsberechtigung, keine Arbeitserlaubnis
In Zukunft könnte diese Rolle von eigens dafür ausgebildeten Asylsuchenden selbst übernommen werden. Eigentlich sind Asylbewerber in Deutschland von beruflicher Fortbildung ausgeschlossen. Doch seit Mitte 2002 läuft in Wuppertal ein Pilotprojekt, in dem 26 Männer und Frauen zu so genannten Sprach- und Kulturmittlern ausgebildet werden. Varinia Morales, die das Programm leitet, weist darauf hin, dass das Berufsbild in vielen europäischen Ländern schon anerkannt worden ist. In Deutschland fängt man jetzt erst, sich damit auseinander zu setzen
Drei Jahre dauert die Ausbildung zum Sprach- und Kulturmittler, die von der Europäischen Union finanziell unterstützt wird. In den Seminaren lernen die Teilnehmer, wie das deutsche Sozialsystem und die deutsche Bürokratie funktioniert. Sie arbeiten sich in die wichtigsten Computerprogramme ein und studieren die kulturellen Eigenarten der Deutschen. Und sie lernen natürlich Deutsch. Viele haben in ihren Heimatländern als Lehrer und Architekten gearbeitet, als Wirtschaftswissenschaftler und Ingenieure. In Deutschland hingegen haben sie keine Aufenthaltsberechtigung und damit keine Arbeitserlaubnis. Die Ausbildung sehen sie als Chance, irgendwann auch in Deutschland einen Job zu finden.
Zwei Ziele werden mit dem Projekt angestrebt
Die Bedingungen, unter denen die Kursteilnehmer die Ausbildung machen, sind schwierig, erzählt Programm-Leiterin Varinia Morales. Nach dem Unterricht fahren sie zurück in ihre Unterkünfte: Die meisten leben in Flüchtlingsheimen, teilen sich dort ein Zimmer mit Fremden. Unter den traumatischen Erlebnissen der Flucht leiden sie bis heute. Und keiner der 26 Männer und Frauen weiß, wie lange sie noch in Deutschland bleiben können.
Das Wuppertaler Projekt könnte gleich zwei Ziele erreichen: Die zukünftigen Dolmetscher könnten als Brücke zwischen den Asylsuchenden auf der einen und deutschen Behörden, Gerichten oder Krankenhäusern fungieren. Und den ausgebildeten Flüchtlingen würde durch die Etablierung eines neuen Berufsbildes der Einstieg in einen qualifizierten Job ermöglicht werden. Bleibt ein einziger, nicht zu unterschätzender Haken: Das Diplom, dass die 26 Teilnehmer im Sommer 2005 erhalten werden, ist nach wie vor nicht offiziell anerkannt.