Kurs auf Karriere
19. Oktober 2010Firat Aslan hatte nicht die besten Voraussetzungen und hat es trotzdem geschafft: Sein Vater kam als Jugendlicher aus der Türkei nach Deutschland und fand Arbeit in einer Fabrik, die Mutter folgte ihrem Mann nach ihrer Heirat nach Köln. Firat Aslan ist in Chorweiler aufgewachsen, einem Kölner Stadtviertel mit vielen Hochhäusern und schlechtem Ruf. Viele Ausländer leben hier, Hartz-IV Empfänger, kein Viertel für Aufsteiger.
Noch heute ist Firat Aslan seinen Eltern dafür dankbar, dass sie ihn trotzdem auf das Gymnasium schickten. Mit zwei Jahren Deutsch-Nachhilfe schaffte er es, Versäumtes nachzuholen und sein Abitur mit guten Noten zu bestehen. Inzwischen studiert er parallel zu einer Ausbildung als Industriekaufmann Betriebswirtschaft an der Rheinischen Fachhochschule Köln.
Kultur und Religion nicht entscheidend
Gefragt, warum so viele Migrantenkinder an dem deutschen Bildungsweg scheitern, verweist er auf die sozialen Verhältnisse der Eltern. Seiner Einschätzung nach spielt die islamische Religion oder die türkische Kultur keine große Rolle.
Entscheidend sei, dass die Eltern selber aus bildungsfernen Schichten stammten, dazu noch schlechte Deutschkenntnisse besäßen. Auch brächten viele Einwanderer aus der Türkei die Auffassung mit, die Schule sei allein verantwortlich für die Bildung der Kinder.
Hier müsse der deutsche Staat ansetzen und auch die Eltern mit einbinden in den Bildungsweg ihrer Kinder, denn Bildung sei der Schlüssel zur Integration, so Firat Aslan.
Das Abitur als Türöffner
Eine Aussage die Sigrun Dahmer-Geisler, Lehrerin an einem Gymnasium in der Kölner Innenstadt, sicher unterschreiben würde. In ihrer Klasse hat die Hälfte der Schüler einen Migrationshintergrund, etwa ein Viertel ist türkischstämmig.
Unterschiede zwischen deutsch- und türkischstämmigen Schülern finde man vor allem im Sozialverhalten. Die türkischen Mädchen seien in der Regel schüchterner und stiller als die deutschen, glichen dies aber durch Fleiß wieder aus. Die türkischen Eltern nähmen weniger teil an schulischen Aktivitäten und Gremien, bei Einwanderern der ersten Generation gebe es auch oft sprachliche Probleme.
Die Mehrheit der türkischen Eltern habe einfachere Berufe, auch gebe es viele alleinerziehende Mütter. Aber all diesen Eltern sei bewusst, dass das Abitur ihren Kindern den Weg ebnen wird zu beruflichem und gesellschaftlichem Erfolg.
Vater: Bergmann - Tochter: Zahnärztin
Gülay Bolkan hat es schon geschafft: die türkischstämmige Deutsche ist Zahnärztin. Ihr Lebensweg war lange geprägt von einem Pendeln zwischen den Kulturen. Ihr Vater kam als Arbeitsmigrant nach Deutschland, da war sie drei Jahre alt. In Deutschland besuchte sie Grund- und Realschule, mit dreizehn kehrte sie in die Türkei zurück. Dort machte sie Abitur und Studium, inzwischen lebt sie seit neun Jahren wieder in Deutschland.
Am Anfang war es nicht leicht, die verschütteten Sprachkenntnisse wieder zu aktivieren, die verschiedenen Berufsanerkennungsprüfungen abzulegen. Aber sie schaffte es.
Wohl auch, weil ihr der Wille zu Bildung und Erfolg von den Eltern mitgegeben wurde. Obwohl ihr Vater selber nur die Grundschule besucht hatte, motivierte er seine fünf Töchter immer, die beste schulische Bildung für sich zu erreichen. Mit großem Erfolg: von den fünf Schwestern studierten drei.
Die beste Schule für die Kinder
In der Türkei selber, berichtet Gülay Bolkan, lege die Mittel- und Oberschicht großen Wert auf Bildung. Alle versuchten, die beste Schule für ihre Kinder zu finden, oft sei dies eine teure Privatschule.
Dasselbe Phänomen beobachtet sie bei ihren türkischen Akademiker-Freunden. Viele nähmen weite Schulwege für ihre Kinder in Kauf, damit diese in einem angesehenen Stadtviertel auf die Schule gehen könnten – möglichst mit einem nicht zu hohen Anteil an Migrantenkindern.
Einfluss nehmen
Ihre eigene Tochter besucht seit zwei Jahren eine städtische Grundschule in Köln und hat viel Spaß am Rechnen und Lesen. Für Gülay Bolkan ist es selbstverständlich, dass sie die Hausaufgaben ihrer Tochter kontrolliert und sich auch sonst auf dem Laufenden hält. Gerade hat sie sich als Elternvertreterin wählen lassen. Dadurch kann sie auch Einfluss nehmen auf die verschiedenen Integrations-Projekte, die an der Grundschule angeboten werden.
Die dritte Generation
Bengi Bolkan ist eine aufgeweckte Siebenjährige mit einer Vorliebe für Zahlen, klassische Musik und Kalle Blomquist, den Meisterdetektiv aus Astrid Lindgrens Feder. Sie geht gern zur Schule und doch brachte die Schule sie zum ersten Mal in ihrem jungen Leben in einen gewissen Identitäts-Konflikt. Denn hier wurde sie von Mitschülern und Lehrern als türkisches Kind eingestuft. Das passte dem Mädchen, das die Türkei nur als Land ihrer Großeltern kennt, gar nicht: "Ich bin deutsch!" wehrte sie sich gegen die Ausgrenzung.
Gülay Bolkan ist zuversichtlich, dass ihre Tochter beruflich ihren Weg gehen wird. Und sie hofft, dass man in Zukunft in Deutschland weniger auf die Herkunft eines Menschen schaut als auf ihn selber.
Autorin: Rachel Gessat
Redaktion: Michael Borgers