David Lagercrantz verspricht eigene Krimiserie
26. August 2019Deutsche Welle: Ihre deutschen Leser dürfen sich jetzt darüber freuen, dass sie endlich den nächsten "Millennium"-Krimi lesen können. Aber gleichzeitig herrscht Trauer, denn Sie haben angekündigt, dass "Vernichtung" definitiv Ihre letzte Fortsetzung der Romane von Stieg Larsson sein wird. Mögen Sie Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist nicht mehr?
David Lagercrantz: Oh nein, ich werde Lisbeth Salander immer lieben, aber ich bin in vielerlei Hinsicht ein Journalist der alten Schule, der immer wieder neue Herausforderungen braucht. Und wenn ich einfach immer nur so weitermachen würde, dann könnte das möglicherweise zur Routine werden - und das wäre ein Jammer für die fantastischen Bücher und das Szenario, das Stieg Larsson geschaffen hat. Deshalb ist es für mich als Schriftsteller wichtig, eine neue Aufgabe zu finden.
Ich habe also angefangen, eine eigene Kriminalgeschichte zu schreiben, die mich selber ziemlich begeistert. Es tut mir leid um Lisbeth, aber sie wird schon auf die eine oder andere Weise weiterleben.
Ihre Fortsetzung von Stieg Larssons "Millennium"-Serie ist extrem erfolgreich. Die Bücher verkaufen sich stapelweise, und die Verfilmungen werden in der ganzen Welt gezeigt. Haben Ihnen die Verlage und Filmproduzenten keinen Druck gemacht weiter zu schreiben?
Ja, doch, es gab viel Druck. Sie haben mich immer wieder gemahnt, doch noch ein paar Bücher folgen zu lassen. Aber ich bin mir absolut sicher, dass ich es dabei belasse. Dieser dritte, der letzte Band ist meiner Ansicht nach mein bester. Es ist Zeit, etwas anderes zu machen.
Als Autor haben Sie seit 2013 mit Figuren und in einer Szenerie gelebt, die Sie nicht selbst erfunden hatten. Wie ist das, wenn man für Protagonisten und eine Roman-Welt, die nicht von einem selbst stammt, eine Handlung erfinden muss? Haben Sie sich damit immer wohl gefühlt?
Nein. Ich meine, anfangs, als man mich gefragt hat, war ich total begeistert. Ich habe fast geschrien, ja, das mache ich, denn ich habe Larssons Bücher und seine Figuren geliebt, und ich fand die Aufgabe toll. Aber mit der Zeit bekam ich natürlich Angst, ob ich es schaffen würde, den hohen Qualitätsanspruch zu erfüllen. Am Ende aber war es ein großes Vergnügen, einfach nur fantastisch.
Wieviel Stieg Larsson steckt noch in den "Millennium"-Krimis und ihrem Personal? Oder haben Sie sich die Figuren inzwischen vollständig angeeignet?
Natürlich sind die Protagonisten von diesem genialischen Autor erfunden worden, aber sie sind inzwischen ganz zu meinen eigenen geworden. Ich habe es als Teil meiner Mission angesehen, den Figuren und ihrer geheimnisvollen Aura noch etwas hinzuzufügen, sie noch komplexer zu machen. So viel kann ich verraten, dass dieses super starke Mädchen in meinem letzten Buch schließlich Schwäche zeigt. Sie zögert, und davon habe ich immer geträumt, dass Lisbeth Salander ein bisschen gebrochen wird - denn sie war immer so kontrolliert und stark. Diesmal also wird sie in einer dramatischen Szene am Schluss schwach.
Als Sie 2013 anfingen, an Stieg Larssons Romanserie weiter zu schreiben und als "Verschwörung" 2015 veröffentlicht wurde, gab es eine große Kontroverse, ob das zulässig wäre. Ist das alles inzwischen beigelegt?
Der Wind hat sich seitdem komplett gedreht. Sie hätten die schwedische Presse damals, vor der Veröffentlichung, sehen sollen! Die Beiträge waren der helle Wahnsinn, ich beherrschte die Schlagzeilen. Wie kann er das machen?! Es war ein veritabler Mediensturm, und ich lag nur noch im Bett und war schockiert. Ich begriff, wie stark die "Millennium"-Bücher die Leute beschäftigten.
Aber, wissen Sie, kaum einen Monat später, wehte der Wind woanders her. Ich bekam großartige Rezensionen im "Spiegel", in der "New York Times", in "Le Monde" und im "Guardian" - und plötzlich schrieben die Leser, "Gottseidank ist sie wieder da, es ist toll, dass es weitergeht". Auf einmal war die Atmosphäre eine ganz andere.
Es freut mich sehr, dass das gut gegangen ist, nicht nur um meiner selbst willen, sondern auch für Stieg Larsson. Jetzt liest eine neue Generation seine Bücher, und wir arbeiten an einer Dokumentation über sein politisches Engagement. Alle haben nur gewonnen, so empfinde ich das, und die Figuren sind noch mehr Kult geworden.
Sie haben als Journalist für die Zeitschrift "Expressen" gearbeitet. Wie viel Wahrheit muss in einem Krimi stecken?
Eine Menge, glaube ich. Als Krimiautor kann man machen, was man will. Aber ich denke, es ist einfacher, Kriminalromane zu schreiben, wenn man weiß, was hinter den Dingen steckt. Es ist sehr gut, für Fiktionales zunächst journalistisch zu recherchieren. Ich versuche das immer, ich schürfe tief. Ich habe immer gesagt, dass Journalisten literarische Techniken beherrschen sollten. Aber genauso braucht auch gute Fiktion, gute Literatur journalistische Recherche. Man muss wissen, worüber man schreibt.
Sie sind ursprünglich als Verfasser von Biografien bekannt geworden, vor allem als Autor von "Ich bin Zlatan Ibrahimovic". Sie haben schon erwähnt, dass Sie an einem neuen Krimi arbeiten. Aber werden Sie auch wieder biografisch arbeiten?
Nein, ich bleibe dem kriminalistischen Genre treu, ich habe gerade einen Vertrag unterschrieben. Ich habe da so eine Idee, die ich selber für brillant halte, die mich begeistert. Jetzt muss ich beweisen, dass ich genauso gute Bücher mit meinen eigenen Figuren schreiben kann.
Ich glaube nicht, dass Sie noch irgendetwas beweisen müssen.
Mir selber muss ich das auf alle Fälle. Und ein bisschen Angst zu haben, ist vielleicht gar nicht schlecht, denn es treibt einen an, hart zu arbeiten.
Gibt es schon einen Hinweis, einen Titel, oder wenigstens einen Arbeitstitel, den Sie uns verraten könnten?
Nein, ich habe noch keinen Titel, aber ich weiß, dass ich ein bisschen mit Sherlock Holmes flirten werde, mit einem depressiveren, dunkleren Sherlock Holmes. Und es wird einen weiblichen Dr. Watson aus der Vorstadt geben. Ich habe also einen Protagonisten aus der Oberschicht und einen aus einem sozialen Brennpunkt, und ich bin sehr gespannt darauf, wie sie miteinander klar kommen werden. Die größte Herausforderung für mich ist aber, dass ich aus der Perspektive einer Frau schreiben werde. Einer Frau mit einem ganz anderen Hintergrund als ich selber. Das ist nicht ohne.
Steht schon ein Erscheinungstermin fest?
Ja, 2021 für den ersten Band. Ich habe mit meinem schwedischen Verlag einen Vertrag über drei Bücher unterschrieben, deren internationale Lizenzen wir auf der Frankfurter Buchmesse verkaufen werden. Ich komme dann also auch nach Deutschland.
Das Gespräch führte Sabine Peschel.
David Lagercrantz, 1962 geboren, hat als Journalist und Schriftsteller Romane und Sachbücher veröffentlicht. 2013 wurde er vom schwedischen Originalverlag und Stieg Larssons Familie ausgewählt, die Folgeromane der "Millennium"-Reihe zu schreiben. Seine Fortsetzungen erwiesen sich als große Publikumserfolge.
David Lagercrantz nach Stieg Larsson: Vernichtung. Millennium Serie Band 6, Heyne Verlag 2019, 432 Seiten