Chile ringt mit seiner Vergangenheit
17. August 2018Das Museum der Erinnerung und der Menschenrechte in Santiago de Chile ist den Opfern der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet gewidmet. Die Eröffnung im Jahre 2010 fand internationale Beachtung und Teile der ausgestellten Sammlung gehören zum UNESCO-Welterbe. Konservativen und rechten Gruppierungen war das Museum allerdings von Anfang an ein Dorn im Auge.
"Es ist weniger ein Museum als eine propagandistische Inszenierung, dessen Zweck es ist, den Betrachter zu täuschen. (…) Es nutzt eine nationale Tragödie schamlos für die Lüge aus." Diese Worte von Mauricio Rojas über das Museum, die er vor drei Jahren in einem Buch zusammen mit dem derzeitigen Außenminister veröffentlicht hat, besiegelten seine kurze Karriere als chilenischer Kulturminister. Er war erst drei Tage im Amt.
Seine Beteuerungen, dass er die Menschenrechtsverletzungen des Pinochet-Regimes nicht verharmlosen wollte und dass seine damaligen Aussagen nicht seine gegenwärtigen Ansichten widerspiegeln, konnten ihn nicht mehr retten. Aus der Welt der Kulturschaffenden hagelte es Verurteilungen und Kritik an Rojas, der einstmals als Linker galt, sich später aber dem Neoliberalismus annäherte. Auch in der Politik waren viele empört, und als Präsident Sebastian Piñera jegliche Art von Menschenrechtsverletzungen verurteilte, war das Schicksal von Rojas besiegelt.
Unbequeme Verbrechen
"Seine Äußerungen sind indiskutabel. Zu implizieren, dass alles in diesem Museum eine Inszenierung ist, die den Besuchern etwas glauben lasse, was in Wirklichkeit nicht passiert ist, ist ungeheuerlich. Das ist Verleugnung", sagt José Santos, Wissenschaftler am IDEA-Fachbereich für fortgeschrittene Studien der Universität Santiago de Chile.
Dem stimmt der Soziologe Mauro Basaure, von der chilenischen Privatuniversität Andrés Bello, zu. "Es gibt Dinge, die man nicht sagen kann, nicht mal aus Versehen. Das Wort Inszenierung ist sehr grob und verleugnend", so Basaure im Gespräch mit der DW.
Der Skandal reanimiert die alte Debatte, wie das südamerikanische Land die Verbrechen während der Diktatur des Generals Augusto Pinochet (1973-1990) aufarbeitet. Ereignisse wie die Ankündigung und Eröffnung des Museums oder die Errichtung eines Denkmals für den 1973 gestürzten Präsidenten Salvador Allende entfachen immer wieder neu den ungelösten Konflikt um die Vergangenheitsbewältigung.
"Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Chile keinen Konsens über den Umgang mit der Vergangenheit in Bezug auf die Diktatur und die Menschenrechte", analysiert Basaure. Während in Deutschland das Verleugnen der Verbrechen in der Nazi-Zeit sogar strafbar ist, gibt es in Chile immer noch Bereiche der Gesellschaft, die von den Verbrechen des Militärregimes entweder nicht wissen, oder sie sogar rechtfertigen.
José Santos ist skeptisch. In Chile gab es keine Bereitschaft des Staates, diese traumatische Vergangenheit aufzuarbeiten, sondern nur den Versuch das dunkle Kapitel abzuschließen und für beendet zu erklären. Die Anstrengungen, die unternommen wurden, sind aus zivilgesellschaftlicher Sicht sehr punktuell", glaubt Wissenschaftler Santos. "Im Rahmen einer Politik, die die Vergangenheit hinter sich lässt und in die Zukunft blickt, ist die Frage der Menschenrechtsverletzungen unbequem, und der Staat hat in keiner seiner Regierungen eine klare Politik verfolgt."
Interesse für die Vergangenheit wecken
Für die Chilenen von heute, von denen 70 Prozent nach dem Militärputsch geboren wurden, könnte das Museum der Erinnerung eine Gelegenheit sein, sich über die Ereignisse zu informieren und darüber nachzudenken. "Es ist eine starke Erfahrung, die das Museum zu wecken versucht. Sie basiert auf realen, historischen Objekten. In der Sammlung gibt es nichts Erfundenes. Die Menschen sollen angeregt werden, sich eine eigene Meinung zu bilden, und auf diese Weise wird ein Zeichen gegen das Vergessen und Verleugnen gesetzt", betont Mauro Basaure.
José Santos kann dem Skandal um den Minister sogar noch etwas Gutes abgewinnen. Die Kontroverse habe die Zivilgesellschaft gestärkt. "Das war schon paradox, denn ohne es zu wollen, hat der Quasi-Minister die Debatte über das Thema Menschenrechte, die im Halbschlaf lag, zu neuem Leben erweckt. Die Empörung, gerade in den sozialen Medien, hat der Zivilgesellschaft neues Vertrauen in ihre Einflussmöglichkeiten gegeben. Ihre stärkere Beteiligung an diesem Thema kann die dringend notwendige Debatte um die eigene Vergangenheit voranbringen."