Minsk zwischen NATO und Russland
16. Dezember 2016Der weißrussische Verteidigungsminister Andrej Rawkow hat vor kurzem in Riga ein bilaterales Abkommen über militärische Zusammenarbeit mit dem NATO-Mitglied Lettland unterzeichnet. Zuvor hatte Minsk im Oktober ähnliche Abkommen mit Polen und den USA und bereits im Dezember 2015 mit Litauen geschlossen.
"Die militärische Zusammenarbeit zwischen Minsk und NATO-Staaten ist zu begrüßen", sagte der weißrussische Politologe Roman Jakowlewskij im Gespräch mit der DW. Insbesondere die Abkommen mit den EU- und NATO-Staaten Lettland, Litauen und Polen seien für Minsk wichtig, denn mit ihnen teile Weißrussland eine 1250 Kilometer lange Grenze. Jakowlewskij erinnerte daran, dass Minsk seit 1995 am NATO-Programm "Partnerschaft für den Frieden" (PfP) teilnimmt. Außerdem werde seit 2011 über weißrussisches Territorium nicht-militärische Fracht für die International Security Assistance Force in Afghanistan (ISAF) befördert. Mit der NATO gebe es auch einen Austausch von Kadetten, gemeinsame Inspektionen bei Militäreinheiten und Beobachtungen von Manövern. Schließlich nehmen weißrussische Soldaten an Friedenseinsätzen teil, unter der Bedingung, dass ein UN-Mandat vorliegt.
Militärabkommen mit Russland
Die Abkommen über militärische Zusammenarbeit mit den NATO-Staaten würden herkömmliche Verpflichtungen enthalten. "Aber zurzeit ziehen sie besondere Aufmerksamkeit auf sich", sagte Jakowlewskij. Erstens aufgrund der Spannungen wegen des russischen Vorgehens in der Ukraine und in Syrien. Zweitens, weil sich Minsk in einem Militärbündnis mit Moskau befinde und der Kreml russische Interessen von der NATO bedroht sehe.
Jakowlewskij meint, die Kooperationsabkommen mit den NATO-Staaten würden nicht im Widerspruch zum bestehenden Militärabkommen zwischen Weißrussland und Russland stehen. Laut dem Abkommen mit Moskau ist die weißrussische Armee integraler Bestandteil einer gemeinsamen regionalen militärischen Gruppierung mit Russland. Jakowlewskij glaubt nicht, dass sich Weißrussland mit den NATO-Kooperationsabkommen Richtung Westen bewegen wolle. "Minsk würde nichts unternehmen, was den militärischen Interessen Moskaus zuwiderlaufen würde", so der Politologe.
Welche Ziele verfolgt Minsk?
Auch bei der Beurteilung der Ereignisse in der Ukraine und in Syrien sei Minsk immer auf der Seite des Kremls, sagte Vytis Jurkonis von der Universität Vilnius. In den friedliebenden Tönen aus Weißrussland seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland sieht er eine "PR-Kampagne", mit der sich Minsk als neutral darstellen wolle. "Die weißrussische Führung will an europäische Gelder kommen und gleichzeitig Moskau mit einer Hinwendung zum Westen nervös machen", glaubt der litauische Politologe. Auf diese Weise versuche die Führung in Minsk, den Kreml in der internationalen Arena zu ihren Gunsten zu lenken. "Weißrussland kann gar nicht neutral sein, weil es auf seinem Gebiet zwei russische Militärstützpunkte hat und mit russischen Militärs Manöver an der Grenze zur NATO abhält", betonte Jurkonis.
Doch wie sieht Moskau Weißrusslands Abkommen über eine formale militärische Zusammenarbeit mit NATO-Staaten? Andrej Serenko, russischer Politologe und Mitglied der "Liga der Experten im postsowjetischen Raum", sagte der DW: "Moskau wird wohl kaum an den Versuchen Weißrusslands Gefallen finden, Eigenständigkeit zu beweisen und seine Außenpolitik zu diversifizieren." Andererseits habe Russland durch die neuen Abkommen nicht viel zu befürchten. "Moskau hat riesigen Einfluss auf Minsk", so Serenko.
Spezialkräfte-Abkommen mit dem Kreml
Unterdessen hat der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko laut einem Anfang Dezember veröffentlichten Erlass das Komitee für Staatssicherheit (KGB) beauftragt, mit der russischen Seite über ein Abkommen zu verhandeln, das den Einsatz von Spezialkräften beider Länder bei Anti-Terror-Operationen auf dem Territorium des jeweils anderen Staates erlaubt. Michail Pastuchow, ehemaliger Vorsitzender des weißrussischen Verfassungsgerichts, sieht darin einen Verstoß gegen die Verfassung. "Sie besagt, dass Weißrussland selbst die Rechtsordnung im Lande sichert", betont er.
Doch wozu braucht Minsk russische Spezialkräfte? Der frühere Oberst des weißrussischen Geheimdienstes, Wladimir Borodatsch, der heute in Deutschland lebt, sagte im Gespräch mit der DW, eigentlich habe Minsk genügend eigene Spezialkräfte: "Aber Lukaschenko und der russische Präsident Putin fürchten, dass wegen des Niedergangs ihrer Volkswirtschaften das passieren kann, was in Kiew passierte: Massenproteste gegen die Regierung." Dann würden russische Spezialkräfte Lukaschenko zu Hilfe eilen, beziehungsweise weißrussische nach Moskau fliegen, um "Aufständische zu erwürgen", für den Fall, dass sich die eigenen Spezialkräfte verweigern.