Mission: Ein Sitz für Deutschland
21. September 2004Zurzeit erarbeitet eine von Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte Arbeitsgruppe Vorschläge zur Reform der Weltorganisation. Deren Herzstück soll die Erweiterung des Sicherheitsrats sein. Bisher sind neben den USA, Russland und China nur die Europäer Frankreich und Großbritannien ständige Mitglieder. Nun will auch die Bundesregierung mehr Einfluss in der Weltorganisation.
Entschlossen zur Offensive
Deutschland ist derzeit der drittgrößte Beitragszahler der UNO. Neben seinem wirtschaftlichen Gewicht wirft es auch politisches oder militärisches Engagement an etlichen Krisenherden der Welt in die Waagschale.
Über eine ständige Mitgliedschaft wäre Deutschland an allen wichtigen Entscheidungen direkt beteiligt, sagt Professor Klaus Hüfner, Präsident der Deutschen Unesco-Kommission und wohl der beste UNO-Kenner in Deutschland: "Wir müssen davon ausgehen, dass jede Entscheidung des Sicherheitsrates auch ökonomische Implikationen hat. Und da wiederum hat Deutschland ein großes Interesse, dass diese Entscheidungen sich nicht nachteilig für Deutschland auswirken."
Abstimmung mit Europäern
Eine ganz klare Interessenpolitik also, politisch wie wirtschaftlich. Die Mehrheit der 190 anderen Mitgliedsstaaten hat damit keine Probleme und sähe Deutschland gerne ständig im Sicherheitsrat.
Offene Unterstützung kommt vor allem von den Ländern, die selbst nach einem ständigen Sitz streben - etwa Japan, Brasilien und Indien. "No comment", heißt es zurzeit zwar von der Regierung in Washington, aber UN-Experte Klaus Hüfner rechnet mit Zustimmung.
Mehr Störfeuer kommt dagegen aus Europa: Vor allem Italien fühle sich durch die deutschen Interessen düpiert, so Hüfner: "Italien sieht sich als zweitrangig oder in die zweite Liga versetzt, wenn aus der Europäischen Union Großbritannien, Frankreich und dann auch die Bundesrepublik Deutschland ständige Mitglieder im Sicherheitsrat werden sollten." Daher betreibe die italienische Regierung mit allen nur denkbaren Mitteln eine Obstruktionspolitik.
EU ohne Sitz im Sicherheitsrat
Als politische Utopie hat sich bereits der Wunsch nach einem gemeinsamen Sitz der Europäischen Union erwiesen. Der wurde im Koalitionsvertrag der rot-grünen Bundesregierung noch als Ideal gepriesen, ist inzwischen aber mit dem Stempel "nicht durchsetzbar" zu den Akten gelegt worden.
Mögen die EU-Parlamentarier in Straßburg noch so laut danach rufen, auch Klaus Hüfner hält einen EU-Sitz bestenfalls für ein langfristiges Ziel: "Großbritannien und Frankreich sind derzeit nicht willens, ihre ständigen Sitze zugunsten eines europäischen Sitzes aufzugeben." Die Aufnahme einer Staatengruppe in den Sicherheitsrat sei in der UN-Charta außerdem nicht vorgesehen, meint Hüfner.
Schwierige Reform
Noch liegen die Reformpläne nicht auf dem Tisch des UN-Generalsekretärs, das soll erst Anfang Dezember der Fall sein. In der von Kofi Annan vor einem Jahr eingesetzten Reformgruppe ist kein Deutscher vertreten. Die Einflussnahme auf das Gremium erweist sich politisch als schwierig.
Die Arbeitsgruppe plagt sich mit der komplizierten Frage, wie viele Sitze - ständige und nichtständige - der Sicherheitsrat am Ende haben soll. Schließlich soll das Gremium repräsentativer sein als bisher, aber trotzdem nicht zu einem manövrierunfähigen Ungetüm verkommen. Entscheidend ist auch die Frage des Vetorechts - wer bekommt wie viel davon? Die Bundesregierung versteift sich dabei nicht auf ein Vetorecht um jeden Preis, aber an solch kniffligen Fragen könnte die Reform der UNO insgesamt scheitern.
Jetzt oder nie
Am Dienstag (21.9.) kommen die Delegationen der 191 Mitgliedsstaaten der UNO zu ihrer jährlichen Generaldebatte in New York zusammen. Bundesaußenminister Joschka Fischer wird dort am Donnerstag (23.9.) seine Rede halten.
Immerhin müssen zwei Drittel der Mitgliedsländer und alle fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat zustimmen. Und es ist nicht der erste Versuch, den Sicherheitsrat zu reformieren, der die machtpolitischen Verhältnisse der Nachkriegszeit widerspiegelt. Das Podium der diesjährigen Generaldebatte nutzen viele Länder also noch einmal, um sich für die heiße Phase der Reformdiskussion im nächsten Frühjahr zu positionieren.