Mission: Nepals Welterbe
5. Mai 2015DW: Herr Manhart, können Sie uns beschreiben, wie es derzeit in Kathmandu aussieht? In welchem Zustand befinden sich die Welterbestätten?
Christian Manhart : Es sind wirklich dramatische Schäden. In der Altstadt sind sehr viele Häuser und vor allem die Tempel und Paläste völlig zerstört. Man kann sagen vom Welterbe – es gibt innerhalb des Kathmandutals sieben Welterbestätten – sind ungefähr 60 Prozent zerstört.
Haben diese Stätten denn überhaupt noch den UNESCO-Welterbestatus? Sie existieren ja nicht mehr in dieser Form.
Sie haben auf jeden Fall noch den Status. Das einzige Organ, das darüber entscheiden kann, sie wieder von der Liste zu nehmen, ist das Welterbekomitee, das dieses Jahr Ende Juni in Bonn tagen wird. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie diese Stätten von der Liste nehmen werden. Teile davon existieren ja noch, die Skulpturen zum Beispiel. Und es gibt eine gute Chance, die Tempel wiederaufzubauen. Sie von der Liste zu nehmen, wäre wirklich die falsche Botschaft an die nepalesische Bevölkerung.
Welche Bedeutung haben die Tempel für die Nepalesen?
Ich bin hier in Nepal vor acht Monaten angekommen und ich bin wirklich hoch erstaunt darüber, wie stark hier die Kultur [des Buddhismus und Hinduismus; Anm. der Redaktion] noch von der Bevölkerung gelebt wird. Es hat absolut keinen Folklorecharakter, sondern die Menschen sind ganz tief verwurzelt in dieser Kultur und Religion. Jede Familie hat ihre eigene Gottheit, die sie verehrt. Die meisten Menschen gehen mindestens ein Mal am Tag in den Tempel, um Gaben darzubringen, zum Beispiel Lebensmittel oder Reis. Wenn dieser materielle Ausdruck der Kultur und Tradition verloren geht, dann besteht ein großes Risiko, dass auch die immaterielle Kultur verlorengeht.
Freuen sich die Menschen, dass Sie Ihre Kultur erhalten wollen oder treffen Sie auch auf Vorurteile, dass sie sich um Gebäude, statt um Menschen kümmern? Immerhin sind tausende Menschen gestorben, unzählige wurden verletzt.
Ich bin bisher auf keinerlei Vorurteile gestoßen. Ganz im Gegenteil. Ich empfinde, dass die Leute dankbar sind, dass sich jemand ihrer Kunstdenkmäler annimmt, eben weil die Bevölkerung sehr eng damit verbunden ist. Darüber hinaus sind die Welterbestätten, aber auch die anderen Tempel ein Hauptmagnet für den Tourismus und der Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen Nepals. Es ist sehr wichtig, das Potential des Kulturtourismus hier zu erhalten bzw. wieder aufzubauen.
UNESCO will Welterbe rekonstruieren
Wie gehen Sie von der UNESCO nun vor, um das Welterbe in Nepal zu retten?
Wir sind jetzt erst in der Phase der Bestandsaufnahme. Diese ist bereits sehr genau in Kathmandu erfolgt. Jetzt gehen unsere Teams raus in die Dörfer und schlagen dort zugleich auch Projekte zur Notfall-Konsolidierung der Monumente vor. Einige stehen ja noch, haben aber so starke Risse, dass sie in Gefahr sind, einzustürzen. Das wird dann die zweite Phase sein, diese Monumente zu konsolidieren. Die eigentliche Restaurierung wird dann erst in der dritten Phase anlaufen.
Wie viel Geld wird dafür benötigt werden, die Tempel tatsächlich zu rekonstruieren?
Bis jetzt haben wir noch keine genauen Zahlen, aber das können durchaus hunderte von Millionen werden, vielleicht auch nur 50 Millionen, das ist relativ schwierig zu sagen. Aber wir wissen immerhin, dass in vielen Monumenten die Skulpturen und die geschnitzten Holzbalken noch in relativ gutem Zustand sind und wiederverwendet werden können. Eigentlich müssen also nur die Ziegelmauern wiederaufgebaut werden. Wir haben detaillierte Fotos, Architekturpläne und Vermessungen, die uns beim Wiederaufbau helfen werden. Es ist also durchaus möglich nicht nur die Tempel, sondern auch die historischen Wohnhäuser in Kathmandu, in Katan oder in Bhaktapur wieder aufzubauen.
Die Vereinten Nationen werfen verschiedenen Akteuren in Nepal vor, nach dem Erdbeben nicht zusammenzuarbeiten. Befürchten Sie auch im Bereich der Kultur eine Konkurrenz der Hilfsorganisationen, die sich gegenseitig im Wegen stehen?
Wir haben ein offizielles Mandat von der nepalesischen Denkmalschutzbehörde. Allerdings gibt es das Problem, dass es innerhalb der nepalesischen Behörden oft nicht klar abgesteckt ist, wer wofür zuständig ist. Jetzt versuchen wir zu koordinieren, aber teilweise ist es sehr schwierig. In Bhaktapur wurde uns kürzlich von den lokalen Behörden nicht erlaubt zu arbeiten, obwohl wir von zwei Damen der Denkmalschutzbehörde begleitet wurden. Der amerikanische Global Heritage Fund ist mit fünf Drohnen angekommen, mit denen sie sehr genaue Bestandsaufnahmen aus der Luft machen könnten, vor allem in Gebieten, in die man noch nicht mit dem Auto oder zu Fuß kann. Sie sind seit fünf Tagen hier und haben noch immer keine Autorisierung für den Einsatz der Drohnen. Das ist ganz schön frustrierend, wenn man Hilfe anbietet und diese aus bürokratischen Gründen nicht angenommen wird.
Bekommen Sie eigentlich auch Hilfe von Freiwilligen angeboten, die sagen, wir wollen was tun, so wie es bei Hilfsorganisationen derzeit der Fall ist?
Unendlich. Ich bekomme so viele Anfragen, ich kann nicht einmal auf alle antworten. Aber es ist so, dass wir Leute, die von außerhalb kommen gar nicht koordinieren können. Wir haben schon vor Ort mehrere Teams zum Beispiel vom nepalesischen Ingenieursinstitut der Universität, die gemeinsam mit ihren Professoren mitarbeiten. Wir haben ein italienische Team, das schon beim Erdbeben in L'Aquila im Einsatz war, und mehr Hilfsteams können wir gar nicht koordinieren.
Wie stehen die Chancen, dass nicht beim nächsten Beben wieder alles zerstört wird? Ist es möglich, so zu rekonstruieren, dass die Tempel im extremen Erdbebengebiet von Nepal standhalten?
Eigentlich waren die Gebäude recht sicher, denn die traditionelle nepalesische Bauweise aus Ziegeln und Holz setzt darauf, dass die Bauten bei einem Beben mitschwingen. Erdbebenwellen sind normalerweise horizontal. Vielleicht waren es bei diesem Erdbeben zu Beginn aber auch vertikale Bewegungen. Und das machte das Ganze so schlimm. Wir haben gesehen, dass Gebäude, die durch Beton gesichert waren, weniger eingestürzt sind als jene, die in der traditionellen Ziegel-Holz-Bauweise gebaut waren. Aber das müssen wir allen noch genau analysieren. Wir hoffen, dass wir die Gebäude dann so sicher bauen können, dass sie dann beim nächsten Erdbeben stehen bleiben. Denn es wird ganz sicher wieder ein großes Beben in Nepal geben.
Das Gespräch führte Sarah Judith Hofmann.
Christian Manhart ist Leiter der nepalesischen Sektion der UNESCO in Kathmandu.