Rollend in eine bessere Zukunft
26. August 2016Robert Mboyo hinkt durch den Hof des pädagogischen Krankenhauses in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Jenseits des Parkplatzes liegt seine kleine Werkstatt. Mechaniker schrauben an einem dreirädrigen Rollstuhl. Mit den Händen lassen sich Pedale wie bei einem Fahrrad bewegen, um voran zu kommen. Mboyo begutachtet das knallgelbe Gefährt.
Der 36-jährige Kongolese ist beim Gehen auf eine Krücke angewiesen. Wie so viele Kongolesen in seinem Alter infizierte er sich als Kind mit dem Polio-Virus. Er bekam mit zwei Jahren die Kinderlähmung, erzählt er. Seitdem ist sein linkes Bein von der Hüfte an gelähmt.
Eine ganze Generation ohne Impfung
Im Zuge der Bürgerkriege und des Staatszerfalls der 1980er und 1990er Jahre brach in der Demokratischen Republik Kongo das Gesundheitssystem zusammen. Eine ganze Generation kongolesischer Kinder erhielt keine Impfung gegen Kinderlähmung. Heute sind diese Kinder erwachsen und die Zahl der Menschen mit Behinderung als Folge von Polio ist enorm.
"Mein Vater hatte kein Geld für mich, also bin ich nie in die Schule gegangen. Ich habe quasi nie etwas gelernt", erzählt Mboyo. Das einzige, womit er sich immer beschäftigt habe, seien Fahrräder gewesen: "Die habe ich gerne repariert. So bin ich dazu gekommen, Rollstühle zu bauen."
Rollstühle sind unerschwinglich
Mboyo ist Gründer der kongolesischen Stiftung MBOYO, die kostenlos Rollstühle und Gehhilfen an Behinderte vergibt. Die meisten ihnen können sich selbst keine Hilfsmittel leisten: Eine einzelne Krücke kostet umgerechnet rund 15 Euro, ein Rollstuhl bis zu 300. "Menschen mit einer Behinderung finden oft keine Arbeit, viele sind nie zur Schule gegangen", sagt Mboyo.
Das sei seine Motivation gewesen, die Stiftung 1997 zu gründen. Damals konnte er 38 Mechaniker einstellen. Doch heute kann er nur noch 19 beschäftigen, weil die Spendengelder weniger geworden seien, klagt er. Die meisten seiner Angestellten sind Behinderte oder Invaliden wie er: "Mir ist es wichtig, Menschen, die wie ich mit einer Behinderung leben, zu unterstützen. Denn die Regierung hilft uns nicht."
Die Stiftung finanziert sich vor allem durch Spendengelder aus Europa: den Niederlanden, Deutschland, Frankreich. Privatleute oder auch Vereine und gemeinnützige Organisationen schicken entweder Geld oder Ersatzteile wie Reifen, Schrauben und Ketten für Rollstühle, oder auch Krücken und Schienen.
UN-Konvention ratifiziert
Genaue Zahlen, wie viele Kongolesen mit Behinderungen leben, gibt es nicht. Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen wie Handicap International zufolge sind es mindestens 15 Prozent der Bevölkerung. Im vergangenen Jahr hat Kongos Regierung die internationale UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert. Ein mutiger Schritt, sagt Hubert Chauvet, Kongo-Direktor der Nichtregierungsorganisation Christian Blind Mission, die sich weltweit für Menschen mit Behinderungen einsetzt.
Die Herausforderung besteht nun darin, die in dieser Konvention vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen, so Chauvet. Anders als in Europa gibt es im Kongo kaum Rollstuhlzugänge in Gebäude, Behindertentoiletten oder andere Baumaßnahmen, das Alltagsleben von Menschen mit Behinderungen zu erleichtern.
Ein erster Schritt ist aber getan: Die ersten drei Fußgängerbrücken über die Schnellstraße zum Flughafen sind bereits mit dem Rollstuhl befahrbar, sechs weitere sollen gebaut werden. Doch das geschieht nun erst in der Hauptstadt Kinshasa, sagt Chauvet. In den ländlichen Gebieten sei man von solchen Maßnahmen noch weit entfernt. Dort gibt es nicht einmal geteerte Straßen. "Die 15 Prozent der Bevölkerung, die mit Behinderung leben müssen, haben es sehr viel schwerer", sagt Chauvet. "Im Gesundheitssektor gibt es in dieser Hinsicht noch viel zu tun."
Immerhin: Seit April 2015 werden im Kongo landesweit alle Neugeborenen gegen Kinderlähmung geimpft. Seit 2011 wurde kein Ausbruch von Polio mehr gemeldet.