Mit der AfD bei Angela Merkel
16. September 2017Als Leif-Erik Holm vor Merkels Auftritt die schöne Strandpromenade entlang geht und AfD-Flyer verteilt, erfährt er viel Zuspruch. "Danke, Herr Holm!", lächelt ihn eine junge Familie an. Holm kennen hier viele aus seiner Zeit vor der AfD. Er war ein bekannter Radio-Moderator und ist in seinem Heimatland auch familiär verwurzelt.
Provokationen seien nicht so sein Ding. Dafür aber Sacharbeit, wie er sagt. Holm führt die AfD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern. Das Bundesland gehört zu den zweien, in denen die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen über 20 Prozent der Stimmen bekam. Umfragen zufolge ist dieser Wert nicht gesunken, im Gegenteil sogar.
Heute redet Angela Merkel in Binz auf der Insel Rügen. Die liegt ganz hoch im Norden Deutschlands, danach kommt nur noch das Wasser der Ostsee. Seit 1990 hat Merkel diesen Wahlkreis jedes Mal für sich entscheiden können. Doch nun gibt es das Duell CDU gegen AfD, Merkel gegen Holm. Prognosen gibt es keine, nur Chancen.
Wie gut geht es Deutschland wirklich?
Dass so viele Leute hier eine Partei wählen, die Protest und Unzufriedenheit zum Kern hat, ist in Binz schwer vorstellbar. Der Ort ist inzwischen so etwas wie das Sylt der Ostsee - also ein echter Luxus-Ort mit teuren Boutiquen, Strandbars und feinen Restaurants. Viele Urlauber kommen aus dem Westen, dort wo die wohlhabendste Rentnergenerationen der deutschen Geschichte lebt. Binz ist eine deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte.
2005, als Merkel zum ersten Mal zur Kanzlerin gewählt wurde, war Holm sogar pro Merkel, erzählt er. Vielleicht auch, weil beide in derselben Region groß geworden sind, in der es typisch ist, dass Sachlichkeit vor Emotionen geht. Da regiere jetzt jemand mit ruhiger Hand, habe der studierte Volkswirt damals geglaubt. Doch nun habe sie "Deutschland gegen die Wand gefahren". Er spricht von Milliardenrisiken durch die Euro-Rettung, einer gescheiterten Energiewende und einer Überforderung durch hunderttausende Flüchtlinge.
Die Sonne strahlt, die Ostsee funkelt. Als Merkel kommt, ist zunächst das nicht zu hören, was ihre Wahlkampfauftritte zuletzt immer begleitet hat: Ein wütender Chor aus "Hau ab!"-Rufen, "Vaterlandsverräterin"-Beschimpfungen und "Merkel muss weg!"-Parolen. Doch kurz bevor sie das abgesperrte Terrain mit der Rede-Bühne erreicht, tönt es aus einer Ecke dann doch wieder wie gehabt - untermalt von Trillerpfeifen. Aber nicht so ohrenbetäubend wie zuletzt - und es gibt Gegenrufe wie "Nazis raus!".
Wie radikal darf Protest sein?
An ihren Protestschildern unschwer zu erkennen, stammen die Demonstranten aus dem AfD-Umfeld. Holm weist von sich, dass der Protest von der Landes-AfD angestachelt worden sei. Aber verwehren möchte er es AfD-Mitgliedern nun auch wieder nicht, hier lautstark ihren berechtigten Protest kundzutun. Nur, Trillerpfeifen seien nicht so sein Stil.
Das ist typisch für Holm, er betont seine Sachlichkeit, auch wenn die Sache an sich radikal ist. Er schützt sich vor emotionalen Zuspitzungen, ohne den Inhalt aus den Augen zu verlieren. So macht er es auch, als er auf Alexander Gauland und Björn Höcke, die beiden radikalsten Hitzköpfe in der ersten Reihe der AfD, angesprochen wird. Höcke habe das mit dem "Mahnmal der Schande" in seiner Äußerung über das Holocaust-Mahnmal eigentlich anders gemeint. Von einem Parteiausschluss von Höcke, der derzeit in der AfD diskutiert wird, halte er nichts. Weil der Ausschuss sowieso nicht klappen werde, meint Holm. Und Gauland habe mit seiner jüngsten Äußerung über die Leistungen der Wehrmachtssoldaten doch nur darauf hinweisen wollen, dass diese nun einmal auch "eine militärische Leistung" erbracht hätten.
Als Holm so redet, während im Hintergrund auf einem riesigen Bildschirm Merkel ihre Politik erklärt, wird es einigen Umstehenden anscheinend irgendwann zu viel. "Junger Mann, sie sollten einmal die Reden ihrer Parteigenossen richtig studieren", sagt Ursula Fuhrmeister, Rentnerin aus Braunschweig, zu Holm. "Sie wissen ja gar nicht, was die sagen!". Holm weist den Vorwurf von sich und fragt, ob die Dame denn das AfD-Programm kenne? "Nein, nein, die AfD ist nichts für mich", wiegelt sie ab.
Deutsch-deutsches Miteinander
Ein aufgeregtes Rentner-Ehepaar, das gerade von den Merkel-Kritikern beschimpft worden sei, tritt heran und beschwert sich bei Holm. Und überhaupt, sagt der Mann: Seine Eltern seien 1955 aus der DDR geflohen. Viele hier hätten anscheinend vergessen, wie marode die Zustände in der DDR gewesen seien. Vor 30 Jahren seien die hiesigen Fassaden grau und nicht strahlend-weiß wie jetzt gewesen. "Seht Ihr denn nicht, was sich alles verbessert hat!" Hier würden alle nur immer meckern und "den Hals nicht voll genug kriegen".
Ein anderer Mann reagiert und giftet den Mann aus dem Westen an: "Dann bleib doch da, wo du her kommst!". "Das ist doch Quatsch", versucht Holm zu schlichten. Die Erfolge der Deutschen Einheit seien enorm. Nur gebe es neue Probleme. Ein Auseinanderdividieren Ost-West wäre ganz falsch. Nur, im Osten gebe es nun einmal weniger Wohlstand und geringere Löhne als im Westen. Am Ende einigen sich alle auf einen sachlicheren Umgang miteinander.
Merkels Auftritte dauern rund eine Stunde. Insgesamt 60 davon absolviert sie im aktuellen Wahlkampf bundesweit. Holm will bis zum letzten Tag weiterkämpfen. In den Bundestag wird er auf jeden Fall einziehen, egal ob er das Direktmandat in seiner Heimat gewinnt. Denn er steht auf Position eins der Landesliste der AfD. Wie viele von dieser Liste ins deutsche Parlament kommen, darüber entscheidet die sogenannte Zweitstimme. Er wird nicht der Einzige aus seinem Bundesland sein, denn auf den letzten Metern konnte die AfD in Umfragen noch einmal zulegen. Nach der Wahl werden die Diskussionen, die hier in Binz zu hören waren, wohl dann auch im Reichstag in Berlin geführt.