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Mit einem Mausklick Politik gestalten

Sabrina Pabst29. November 2013

Die Teilnahme an Wahlen geht in vielen Ländern zurück. Wie können Internet und Social Media die Kluft zwischen Bürger und Politik überbrücken, damit Menschen am politischen Prozess teilnehmen?

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Eine Frau sitzt vor dem Computer (Foto: Raigo Pajula/AFP/Getty Images)
Bild: Raigo Pajula/AFP/Getty Images

Der Saal ist brechend voll. Gespannt schaut jeder Teilnehmer auf die große Leinwand. Dort wird erklärt, wie digitale Medien Bürger und Politik zusammenbringen sollen. "Wenn Menschen nicht mehr direkt an politischen Entscheidungsprozessen teilnehmen und mitbestimmen können, dann haben sie auch kein Interesse an Politik", sagt Jens Seipenbusch. Der Mitbegründer der deutschen Piratenpartei ist einer der Gastredner auf dem Weltforum für Demokratie in Straßburg. Das Motto in diesem Jahr: Demokratie im digitalen Zeitalter. Drei Tage lang diskutierten dort internationale Vertreter aus Politik, Forschung und Wirtschaft darüber, wie die zunehmende Politikverdrossenheit der Bevölkerung weltweit verringert werden kann. "Liquid Democracy" heißt eine Lösung, also flüssige Demokratie.

Die Piratenpartei hat es vor einigen Jahren wieder aufgegriffen. Der Gedanke einer direkten Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungsprozessen scheint durch die Vorzüge des Internet greifbar zu sein, so Seipenbusch. Das politische Geschehen würde für jeden Bürger transparenter und offener: Informationen für alle zu jeder Zeit. Das Ideal: Politik neben Familie und Beruf noch mitgestalten zu können. Um sich politisch einzubringen, müsste man so kein Vollzeitpolitiker sein. "Die Informationsgesellschaft hat in den digitalen Medien ein Informationsrecht", meint Seipenbusch.

Panel-Diskussion beim Weltforum für Demokratie, Straßburg, Redner Nikolaos Mavridis und Jens Siepenbusch (Foto: DW/S.Pabst)
Jens Seipenbusch (Mitte) will eine europäische Piratenpartei für die EU-Wahlen aufstellenBild: DW/S.Pabst

Und genau hier lägen die Voraussetzungen für eine funktionierende und lebhafte Demokratie: "Im Internet kann man sich mit Gleichgesinnten austauschen. Die Inhalte sind über die professionelle Inhalte, die von Institutionen oder Medien produziert werden, hinausgewachsen." Dass politisch relevante Inhalte im Internet mit Ideen von normalen Menschen angereichert werden, sollte der Kernpunkt einer politischen Meinungsbildung sein, so Seipenbusch.

"Demokratie 2.0"

Erfahrungen mit einer direkten Bürgerbeteiligung kann Lissabons Bürgermeister, Antonio Costa, vorweisen. Dort besteht seit dem Jahr 2008 für alle Bürger der portugiesischen Hauptstadt die Möglichkeit, Vorschläge für kommunale Projekte zu machen, die in der Stadt entwickelt werden sollen. Anschließend können sie darüber auch abstimmen, was mit den Haushaltsmitteln umgesetzt werden soll. Dafür habe Lissabon einen großen Teil seines Geldes reserviert. Dieses Jahr hätten sich mehr als 35.000 Personen beteiligt, so der Bürgermeister. "Der Bürger ist zufrieden, wenn es Entscheidungsmöglichkeiten gibt. Jedes Jahr haben wir mehr Teilnehmer und mehr Projektvielfalt."

Die interaktiven Kommunikationsmittel haben die politischen Praktiken verändert, meint Costa. Besonders die Art und Weise wie Politik betrieben werde. Für den Bürger hätte eine derartig offene und transparente Kommunikation klare Vorteile: "Man braucht weniger Vermittlung durch die Presse, weil man so direkt verfolgen kann, was in den Machtzentren passiert." Doch für eine demokratische Beteiligung bedürfe es wesentlich mehr als 35.000 Lissabonnern, betont Antonio Costa. "Aber wenn die Demokratie sich an einem Wohnort orientiert, dann ist das schon einmal der Anfang."

Zuschauer beim Weltforum für Demokratie in Straßburg (Foto: DW/S.Pabst)
Teilnehmer beim Weltdemokratieforum in StraßburgBild: DW/S.Pabst

"Inhalte selber gestalten"

Bei solchen offenen und direkten Beteiligungen sieht Yannick Harel, Professor an der Wirtschaftshochschule ISEG (Institut supérieur européen de gestion group) in Paris, allerdings ein Problem: Einigen wird mehr zugehört als anderen. Das System sei so für politische Manipulationen und Populismus zugänglich. Schutzmechanismen würden in diesem Bereich gänzlich fehlen. Und sei bei einer transparenten Abstimmung auch Anonymität gegeben?

Jens Seipenbusch sieht noch andere Schwierigkeiten: Normale Bürger hätten meist keinen ausreichenden Sachverstand und Expertenwissen in allen politischen Bereichen, sondern nur vereinzelt in dem, was sie persönlich interessiere. Es sei besonders wichtig, komplexe Inhalte vereinfacht und umfassend darzustellen, so dass Entscheidungen rechtzeitig von der Bevölkerung getroffen werden könnten.

Ögmundur Jonasson ist Mitglied des isländischen Parlaments. Er meint, Liquid Democracy sei eine Methode, durch die bereits bestehende und etablierte Parteien lernen könnten. "Die Politischen Parteien müssen offener werden, da wichtige Entscheidungen durch einen Volksentscheid oder ein Referendum erfolgen sollten." Die bislang praktizierten Wahlen würden die Gesellschaft spalten. Ein Beratungsprozess, wie er durch Liquid Democracy gegeben sein würde, sei für die Demokratie förderlich. Denn "Menschen wollen nicht Verbraucher von Ideen sein, sondern die Ideen selber produzieren." Viele Fragen sind also noch offen. Das zeigt, dass Liquid Democracy noch in einer experimentalen Phase ist, in der Interessierte auf verschiedenen Online-Plattformen mitgestalten können.