Mit Geflüchteten gegen den Pflege-Notstand
14. Januar 2019"Victory is in my veins" steht auf Annas (Name geändert) Schlüsselbein tätowiert - zu Deutsch: "Der Sieg liegt mir im Blut." Die 23-Jährige steht vor einer kleinen Gruppe von jungen Frauen und redet auf Albanisch. Sie erzählt von ihrer Ausbildung im Bereich Gesundheits- und Krankenpflege. Sie ist im zweiten Jahr, fast fertig also. Doch der Weg hierhin war ein Kampf.
Bei der Messe "Take Care! Werde Pfleger*in" in Berlin versucht Anna, geflüchtete Menschen zu ermutigen, einen Pflegeberuf in Deutschland zu erlernen - so wie sie es tut. Viele junge Männer und Frauen sind zu der Veranstaltung der Organisation "bridge - Berliner Netzwerke für Bleiberecht" gekommen - ins prestigeträchtige Rote Rathaus, einem der bedeutendsten Gebäude in Berlin. Riesige, prunkvolle Gemälde hängen an den Wänden. Die Geflüchteten trinken Kaffee, sprechen Arabisch, Urdu, Farsi oder Kosovo-Albanisch. Und ein bisschen Deutsch. Um sie herum sind Stände aufgebaut. Die größte Klinik Berlins, die Charité, ist auch mit dabei - als einer von rund 30 Ausstellern. Sie alle wollen über die Möglichkeiten für Geflüchtete informieren, eine Ausbildung im Pflegebereich zu machen.
Schule mit Schwerpunkt auf geflüchtete Menschen
In Deutschland wird seit Jahren über einen "Fachkräftemangel" geredet. Es fehlt an Elektronikern, es fehlt an Technikern, aber ganz besonders fehlt es an Pflegern. Das sind Berufe, die wichtig sind, die fordernd sind, für die man Kraft braucht - doch die traditionell nur mit wenig Geld entlohnt werden und die deswegen für viele Menschen nicht besonders ansprechend sind. Gerade in der Pflege kann das fatale Folgen haben: Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung besagt, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen bis zum Jahr 2030 um rund ein Drittel ansteigen wird.
"Eine der am stärksten wachsenden Bevölkerungsgruppen sind aber eben auch ältere Migranten", erklärt Marco Hahn. Er ist Schulleiter an der Paulo-Freire-Berufsfachschule in Berlin. Seine Schule hat sich auf die Ausbildung von Geflüchteten und Migranten spezialisiert. Auch Anna macht ihre Ausbildung hier. "Menschen mit Fluchthintergrund bringen diese interkulturelle Kompetenzen mit, um eine kultursensible Pflege leisten zu können", erklärt Hahn.
Viele scheitern am B2-Niveau
Anna kam vor vier Jahren nach Deutschland. Damals hatte sie bereits ein Jahr Medizin in ihrem Heimatland Albanien studiert. Doch die Universitäten in Albanien seien korrupt. "Du kannst nicht einfach zur Schule gehen und lernen", erklärt sie: "Du musst immer etwas bezahlen - für Klausuren und so." In Deutschland erhoffte sie sich bessere Chancen.
Bei ihrer Ankunft wurde sie als Geflüchtete registriert, landete in einem Heim. Trotzdem machte sie schnell einen Intensivkurs, begann danach die Ausbildung. In den meisten Fällen braucht man dafür Deutsch-Kenntnisse auf B2-Niveau. Da scheitern viele schon. Anna fiel das Deutschlernen leicht - nach vier Jahren spricht sie fast akzentfrei.
Trotz Ausbildungsvertrag: Kein Asyl
Das Glück währte nicht lange. Nach Monaten der elendig langen Busfahrten zwischen Schule und Geflüchtetenheim und unzähligen Stunden der Paukerei wird ihr Asylantrag abgelehnt - trotz Ausbildungsvertrag.
"Niemand konnte sich das erklären", sagt Hahn. Damals habe die Schule Vieles versucht, um Annas Abschiebung zu verhindern. "Polizisten haben auf unserem Gelände rumgeschnüffelt." Nur eine Zeit lang konnten sie sie vor den Ermittlern schützen.
Pflege-Examen aus dem Ausland werden kaum anerkannt
Auch vor den jungen Geflüchteten, die bei der Pflegemesse sind, ist Anna ehrlich: "Ich bin sehr traurig, wenn ich an die Vergangenheit denke. Also an die drei Jahre, die ich hier als Flüchtling war. Ich wurde fast abgeschoben, die Polizei ist ins Heim gekommen, um mich abzuholen. Das waren schreckliche Erfahrungen."
Vielen von Hahns Schülerinnen geht es so. Doch selbst wenn der Asylantrag genehmigt wird - der Weg zur Pflegerin ist lang: "Mir sind nicht sehr viele Fälle bekannt, wo ein Pflege-Examen aus anderen Ländern anerkannt wurde. Bei uns an der Schule lernen auch Menschen, die in ihrem Heimatland bereits in der Pflege gearbeitet haben und die Ausbildung absolviert haben."
Der Sieg liegt im Blut
Auch Annas albanisches Medizin-Studium brachte ihr in Deutschland nichts. Als die Polizei sie holte, musste sie zurück in ihr Herkunftsland. Mit ihrem Ausbildungsvertrag, viel Geduld und Unterstützung von der Paulo-Freire-Schule bekam sie ein Visum. So kann sie ihre Ausbildung jetzt beenden.
Zurück nach Albanien möchte sie nicht. Die Ausbildung hier in Deutschland macht ihr Spaß, die Schule sei toll, auch mit den Kolleginnen in der Einrichtung, in der sie arbeitet, verstehe sie sich gut. Außerdem werden in Albanien kaum Pflegekräfte gebraucht. Anders als in Deutschland.
Annas Plan nach der Ausbildung? "Ich würde gerne hier in Berlin Medizin studieren. Aber ich weiß nicht, ob ich das kann, weil ich hier so schlimme Erlebnisse hatte." Doch sie bleibe optimistisch, sagt sie, während sie ihren blauen T-Shirtkragen über die Schulter zieht, um ihr Tattoo zu zeigen. Immerhin liegt ihr ja der Sieg im Blut.