Mit Hightech gegen die Plastikflut?
5. Dezember 2017In der Lindengasse in der Wiener Innenstadt bläst ein kalter Novemberwind weiße Flocken über den Asphalt. Sie wirbeln umher und landen in der Nähe des Gullys am Straßenrand. Für Schnee ist es allerdings noch zu früh. Was sich dort sammelt, ist Plastik - ein Styropor-Isolationsschaum, um genau zu sein.
Wenn der Regen die Kügelchen in die Kanalisation schwemmt, landen einige von ihnen in der Donau und machen sich auf eine lange Reise Richtung Meer. Jeden Tag gelangen so 4,2 Tonnen Plastik ins Schwarze Meer.
Etwa 13 Millionen Tonnen Plastik wandern jedes Jahr in die Weltmeere. Meeresschildkröten sterben, weil sie herumtreibende Plastiktüten für Quallen halten, Krabben nehmen Mikroplastikpartikel über ihre Kiemen auf, und Plastikfasern gibt es inzwischen im Leitungswasser auf der ganzen Welt.
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Plasmaöfen und Nanobeschichtungen
Es ist dringend nötig, unseren arglos weggeworfenen Plastikmüll wieder einzusammeln. Die Europäische Union testet dafür im Rahmen ihres Horizont 2020-Projekts neue Hightech-Lösungen. Eines der Pilotvorhaben will Kunststoffe mit lichtaktivierten Nanopartikeln beschichten, die weitverbreitete Mikroplastikverschmutzung abbauen könnten.
Projektingenieure wollen auch an Flussmündungen sichtbare Plastikteile mit Roboterarmen aus dem Wasser fischen, die von optischen Scannern gesteuert werden. Und experimentelle, super-heiße Plasmaöfen auf Schiffen könnten das Plastik, das sie sammeln, in synthetisches Gas umwandeln, mit dem die Schiffe dann betrieben werden.
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Gleichzeitig werden Forscher Instrumente auf Schiffen installieren, die viel befahrene Schifffahrtsrouten bereisen, um die Plastikverschmutzung zu messen. Wenn Sie herausbekommen können, wie sich das Material verteilt und wo es sich sammelt, könnten die Daten hilfreich sein, um eine langfristige Strategie dafür zu entwickeln, wie man den Dreck wieder einsammeln kann, den man selbst verursacht hat.
Die Lösungsansätze zeigen, wie schwer es ist, den Müll wieder wegzubekommen, wenn er erst mal in der Natur gelandet ist.
Die meisten Experten sagen daher, die langfristige Lösung sollte sein, den Müll gar nicht erst in Flüsse und Meere gelangen zu lassen. "Für mich ist das die falsche Botschaft", sagt Hydrogeologe Christian Schmidt vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) gegenüber der Deutschen Welle. "Damit sagt man, ihr könnt die Flüsse weiterhin verschmutzen, jemand anderes wird den Dreck weiter flussabwärts für euch wieder rausfischen, deshalb kann es euch egal sein."
"Flüsse wurden schon immer als Mülleimer verwendet. Man wirft was rein und wie auf wundersame Weise schwimmt es weg, außer Sichtweite. Die Leute müssen sich darüber klar sein, dass es nicht verschwindet, wenn es im Meer landet", fügt Schmidt hinzu.
Aus den Augen, aus dem Sinn
In einer kürzlich veröffentlichten Studie berechnet Schmidt, dass nur 10 Flüsse (acht davon in Asien und zwei in Afrika) etwa 90 Prozent des Plastikmülls befördern, der jährlich in den Meeren landet.
Der gezielte Einsatz von Technologien zur Säuberung der Flüsse könnte kurzfristig an diesen Orten helfen, gesteht auch Schmidt ein. Die wirkliche Lösung aber wäre, den Einsatz von Plastik zu reduzieren und ein solides Abfallmanagementsystem entlang des gesamten Prozesses sicherzustellen, einschließlich eines funktionierenden Müllsammel- und Recyclingsystems sowie einer adäquaten Filterung in Klärwerken.
"Ich denke, das ist machbar. Schließlich ist das in Industrienationen der Standard", sagt Schmidt. Aber selbst fortschrittliche Kläranlagen, wie die in hoch entwickelten europäischen Ländern filtern nicht alle Mikroplastikpartikel heraus.
Das Mikroplastikproblem zeigt auch die Grenzen des "Später Rausfiltern"-Ansatzes auf. Ja, es wäre möglich, noch bessere Filter zu installieren, aber Schmidt warnt vor möglichen ungewollten Konsequenzen. Gemeinsam mit dem Mikroplastik würden diese auch organische Verbindungen herausfiltern, die weiter flussabwärts benötigt werden, um Ökosysteme mit Nährstoffen zu versorgen.
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Die Liebe zum Meer
Für Sabine Pahl, Verhaltensforscherin an der englischen Plymouth University, ist das alles eine Frage von menschlichen Entscheidungen, von der Entwicklung eines neuen Produkts bis hin zum Konsumenten, der ein "neues und verbessertes" Gesichtspeeling kauft.
"Irgendjemand hat irgendwann gesagt, dass es eine gute Idee wäre, Plastikperlchen in dein Duschgel zu mischen. Ich würde sagen, das war nicht wirklich zu Ende gedacht", sagt Pahl gegenüber Deutsche Welle. Sie fordert Forscher aus verschiedenen Disziplinen auf, zusammenzuarbeiten, um die Ursachen des Problems anzugehen.
Neben technischen Innovationen sollte ein erfolgreicher Plan, um Plastikverschmutzung zu bekämpfen, auch ein Verständnis darüber beinhalten, wie Menschen ihre Beziehung zur Umwelt wahrnehmen, meint Pahl.
"Die Menschen lieben offensichtlich die Küste, daher wären sie wahrscheinlich bereit, sie und das Meer zu schützen", sagt die Wissenschaftlerin. Die Herausforderung liegt darin, die Verbindung zwischen unseren Aktivitäten und deren Auswirkungen auf das Meer herzustellen. Der Bauarbeiter in Wien, der versucht die Umwelt zu schützen, indem er die bestmögliche Dämmung verwendet, muss wissen, dass die Plastikteilchen, die dabei in der Kanalisation landen, vielleicht später den Strand verschmutzen, an dem er im Sommer Urlaub macht.
Konkret kann das Unterricht und Diskussionen in Schulen und Familien bedeuten, sich aber darüber hinaus auch auf Produktetikettierung und sogar Smartphone-Apps beziehen, die Konsumenten verwenden können, um Produkte auf Mikroplastikpartikel zu prüfen. Politik und Industrie müssen ebenfalls einbezogen werden.
"Wir müssen alle zusammenarbeiten", sagt Pahl. "Technische Lösungen alleine bringen nichts, wir müssen das Problem von allen Seiten angehen."