Mit Kunst und Geschichte für Kamerun
31. August 2011Am Ufer des Flusses Wouri, neben Mangroven, Bananenstauden und hoch aufragenden Palmen, ducken sich kleine Häuser, manche mit fragilen Wellblechdächern. Ein paar Kinder spielen Fußball in der tropisch dampfenden Feuchte. In dieser Siedlung am Rand der Kameruner Millionenstadt Douala auf ein Kunstwerk zu treffen, erwartet wohl kaum jemand. Doch genau hier steht eine begehbare Klang-Installation des Künstlers Lucas Grandin: ein luftiges Holz-Gerüst mit drei Etagen, bepflanzt mit üppigem Grün. Aus feinen Schläuchen mit winzigen Ventilen tropft Wasser. Es trommelt und klopft und rinnt in allen Tonarten und Rhythmen. Das lässt sogar mitten in der Regenzeit aufhorchen.
Wasser im Überfluss – aber keines zu Hause
Verantwortlich für den Klanggarten ist Marylin Douala-Bell. Sie ist eine echte Prinzessin aus einer Königsfamilie im Süden Kameruns - und Präsidentin von doual'art, dem einzigen Zentrum für zeitgenössische Kunst im Land. 2010 hat sie ein großes Kunstprojekt zum Thema Wasser veranstaltet. Als studierte Entwicklungsökonomin hat sie dabei mehr im Sinn als nur ästhetische Fragen. "Siebzig Prozent der Leute hier haben keinen Zugang zur öffentlichen Wasserversorgung", moniert sie, "die Behörden sind nicht in der Lage, die Bevölkerung mit gesundem Wasser zu versorgen – ausgerechnet in der Stadt Douala, die zu den regenreichsten Orten der Welt gehört"
Die Stadt – ein junges Phänomen
Der Umgang mit Wasser ist für Marylin Douala-Bell eine eminent politische Frage - so wie viele andere Themen, um die sie sich mit den Mitteln der Kunst bemüht: Sie will Menschen aktivieren und ihnen klar machen, dass sie selbst dazu beitragen können, das Leben in der Stadt zu verändern. Keine einfache Mission. Denn wie wichtig der öffentliche Raum für das Zusammenleben von Menschen ist, darüber denkt in Kamerun kaum jemand nach – auch nicht bei den Behörden. "Das Phänomen der Stadt ist etwas Junges bei uns", sagt die doual'art-Präsidentin. "Das Verhalten der meisten Stadtbewohner ist davon geprägt, dass sie erst mal überleben müssen."
Kunst - ganz nah am Leben
In dieser Situation mit Kunst einzugreifen, erscheint auf den ersten Blick vielleicht abwegig. Doch Marylin Douala-Bell hat es einfach ausprobiert. Und war überrascht, wie intensiv die Leute auf der Straße auf die Kunstwerke reagieren, die doual'art ermöglicht hat: "Sie stellen sich viele Fragen mit Blick auf ihr eigenes Leben. Zum Material, zur Form, zum Diskurs, den die Künstler austragen. Und damit sind sie ganz nah an dem, was sie beschäftigt."
Zukunftsperspektiven
Solche Denkanstöße, so die Hoffnung, können der erste Schritt für Veränderungen sein. Zahlreiche Kunstwerke sind in den letzten Jahren auf die Initiative von doual'art entstanden. An einer öffentlichen Wasserstelle zum Beispiel, wo die Menschen Tag für Tag mit Eimern und Kanistern Schlange stehen. Dort, wo es jeder sieht, wo man fast im Wortsinn auf die Arbeiten stößt. Der befürchtete Vandalismus ist ausgeblieben – im Gegenteil. Das Interesse der Menschen ist ist groß. Auch der Taxifahrer, der die Reporterin auf der Suche nach Kunst im öffentlichen Raum durch Douala fährt, fotografiert bei der Gelegenheit eine Arbeit des Kameruner Künstlers Baby Kouo Eyango: Paddel, wie sie von Fischern für ihre Einbäume verwendet werden. Stolz aufgepflanzt wie Lanzen stehen sie nun auf einer kleinen Grünfläche.
Hinrichtung durch die Deutschen
Aber die Mission von Marylin Douala Bell geht noch weiter: Nicht nur Kunst soll die Menschen zum Nachdenken bringen, sondern auch ein neuer Blick auf die eigene Geschichte. Darum verwandelt doual'art historische Orte in Stätten der Erinnerung, mit Erklärungstafeln, die vergessene oder verdrängte Fakten ans Licht bringen. Dabei spielt die Familiengeschichte der Prinzessin eine wichtige Rolle: Ihr Urgroßvater, König Rudolf Douala Manga Bell, wurde 1914 von den deutschen Kolonialherren hingerichtet. "Diese Erinnerung gehört zu unserem Erbe und zur Geschichte, die unser heutiges Kamerun ausmacht. Es ist eine schmerzhafte, aber interessante Geschichte. Zwischen 1900 und 1914 hat mein Urgroßvater einen ganz harten Kampf geführt, um die Rechte zu bewahren, die 1884 verbrieft wurden."
Verlorene Geschichte, verlorene Identität
Damals nämlich wurde Kamerun zum "Schutzgebiet" Deutschlands erklärt. Eine Bezeichnung, die den Fakten Hohn sprach: Zwangsarbeit, Zwangsumsiedlungen, Dezimierung ganzer Dörfer gehörten zum Alltag. Bis 1916 dauerte die deutsche Kolonialzeit, später kamen Franzosen und Engländer. Erst 1960 wurde Kamerun unabhängig.
Doch die lange Fremdherrschaft prägt die Mentalität vieler Menschen bis heute. Im eigenen Geschichtsbild sehen sich die meisten als ewige Opfer. Für Marylin Douala-Bell nicht zuletzt das Ergebnis einer verfehlten Bildungspolitik von heute. "Es wird nichts getan, damit wir uns wieder eine Identität geben können. Wir haben unsere Erinnerung und Geschichte verloren. Wir haben die Fähigkeit verloren zu sagen, dass wir imstande sind, eine andere Lebensweise zu entwickeln, Widerstand zu leisten und eine Konfrontation einzugehen."
Erinnern für die Zukunft
Darum will Marylin Douala-Bell mit den Mitteln der Kultur daran erinnern, dass es sie gab, die selbstbewussten, stolzen Menschen, die sich gewehrt haben gegen die Kolonialherren - so wie ihr eigener Urgroßvater. An manchen Orten und Gebäuden lässt sich diese Geschichte zeigen. Doual'art bietet nicht nur Erklärungstafeln an, sondern auch kostenlose Führungen. "Wenn junge Leute feststellen, zu welcher Zeit, unter welchen Schmerzen und gegen welchen Widerstand diese Gebäude entstanden, sagen sich, wir sind nicht gescheitert, wir existieren! Es gibt einen Grund, für eine bessere Zukunft zu kämpfen!"
So wie Marylin Douala Bell selbst, die sich nun seit zwanzig Jahren für Kunst und Geschichte in Douala stark macht. Zu ihren Erfolgen zählt eine Skulptur des Kameruner Künstlers Joseph-Francis Sumégné: ein freundlicher Riese aus Schrott-Teilen, der auf einem Bein steht und stolz einen Globus über dem Kopf trägt. Ursprünglich heiß umstritten, ist die Figur heute ein Wahrzeichen der Stadt, auf das viele Menschen stolz sind. Ihr Name: "La Nouvelle Liberté" - die neue Freiheit.
Autorin: Aya Bach
Redaktion: Gudrun Stegen