Griechische Ärzte in Deutschland
2. Oktober 2014Nach einer missglückten Blinddarm-Operation entschied sich Kallistheni Leonidou, Ärztin zu werden und anderen Menschen zu helfen. Damals war sie 15 Jahre alt und ahnte noch nicht, dass sie in Griechenland eines Tages vor dem Problem stehen wird, acht Jahre lang auf ihre Facharztausbildung warten zu müssen. Im Juni 2013, nach ihrem Abschluss an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki, meldete die 25-Jährige deshalb keine Spezialisierung in Griechenland an, sondern bewarb sich als Assistenzärztin im Universitätsklinikum des Saarlandes - und bekam eine Stelle.
2847 Mediziner griechischer Abstammung zählt die Bundesärztekammer in Deutschland im Jahr 2013: Das sind 11,4 Prozent mehr als im Jahr 2012. Damit sind die Griechen in der Bundesrepublik nach den Rumänen die am zweithäufigsten vertretene Nationalität unter den ausländischen Ärzten in Deutschland.
"Bei mir in der Inneren Medizin arbeiten nur deutsche Ärzte, aber in der Gastroenterologie zum Beispiel sind es nur Griechen", erzählt es Leonidou. "Ich würde sagen, insgesamt gibt hier mehr ausländische als deutsche Ärzte." Rund 40 Prozent ihrer ehemaligen Kommilitonen verließen Griechenland Richtung Deutschland, Schweden, England oder Schweiz - oft auch wegen der Bezahlung: "Hier verdiene ich am Anfang meiner Zeit als Assistenzärztin etwa 2400 Euro, in Griechenland wäre es vielleicht die Hälfte."
"Am liebsten würden alle in Griechenland bleiben"
Deutschland ist auf diese Ärzte angewiesen. Besonders in ländlichen Gebieten ist der Ärztemangel enorm. In Griechenland gibt es dagegen seit Jahren arbeitslose Ärzte. Julia Dixon von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der deutschen Arbeitsagentur versucht diese Ärzte für Deutschland zu gewinnen: "Die Ärzte, die in den letzten fünf Jahren nach Deutschland kommen, kommen wegen der krisenbedingt hohen Arbeitslosigkeit und den schlechten Verdienstmöglichkeiten in Griechenland", sagt sie. Diese Ärzte seien sehr interessiert an einer Arbeit hier, aber sie habe den Eindruck, dass sie am liebsten alle in Griechenland bleiben würden.
Für Kalia Leonidou war das keine Option. Acht Jahre sollte sie in der Heimat auf ihre Wunschspezialisierung in der Hormonlehre warten. Endokrinologen werden jedoch nur an Unikliniken ausgebildet und die Plätze sind stark begrenzt. Schon im vierten Studienjahr hatte sie ein Praktikum in einem deutschen Krankenhaus gemacht und Praxiserfahrung gesammelt, die im griechischen Medizinstudium fehlt. Blut abnehmen, Braunülen legen - all das machte sie im deutschen Krankenhaus zum ersten Mal. Als die junge Frau im Juni 2013 ihr Abschlusszeugnis in den Händen hielt, bewarb sie sich in Stuttgart, Frankfurt und in Homburg im Saarland. Zwei Wochen später hielt sie schon ihre Zusage in den Händen. Dass es so schnell ging, verdankt sie auch ihrem Vater: "Er war es, der wollte, dass ich schon in der Grundschule anfange Deutsch zu lernen. Das habe ich gemacht und an der Uni in Thessaloniki mein C1-Sprachdiplom abgelegt. Damit war alles einfacher."
Werben um Fachpersonal
Doch nicht alle kommen mit perfekten Sprachkenntnissen nach Deutschland: Fani Iakovou konnte nicht mehr als "Hallo" und "Guten Tag" sagen, als sie im Oktober 2013 nach Deutschland reiste. Innerhalb von acht Monaten lernte sie so gut deutsch, dass sie am Goethe-Institut das B2-Diplom ablegen konnte, das sie für die Anerkennung ihrer Approbation braucht. Tagsüber hospitierte die 24-Jährige in der Inneren Medizin eines Göttinger Krankenhauses, um die medizinische Fachsprache zu lernen und mehr Praxiserfahrung zu sammeln. Für Dezember hat sie eine Stelle als Assistenzärztin in einem Kasseler Krankenhaus in Aussicht. Und vorher macht sie noch ein weiteres Praktikum. "Das zweite Praktikum jetzt ist nicht verpflichtend. Ich mache es, weil ich etwas zu tun haben möchte, bis ich meine deutsche Approbation und den Vertrag bekomme", erklärt sie.
Wie unterschiedlich medizinische Praktika sein können, erklärt Manuela Giesel vom Diakonie-Klinikum Schäbisch-Hall: "Hospitanzen dauern bei uns nur wenige Tage und dienen dazu, dass der Bewerber austesten kann, ob er in den Bereich passt." Das Klinikum aus Baden-Württemberg kooperiert mit dem Goethe-Institut in Thessaloniki, sodass Bewerber zuerst zwei Wochen "Deutsch für Mediziner" in Thessaloniki und danach drei Wochen am Goethe-Institut Schwäbisch-Hall lernen. Neben dem kostenlosen Kurs kann die Hospitanz auf einer Station erfolgen. "Wir sind froh um jeden, der sich hier bewirbt. Momentan sind wir wieder im Gespräch mit zwei griechischen Ärzten, die kommen wollen", sagt Giesel. Im Klinikum bekommen die Ärzte einen Tutor an die Seite gestellt, der bei Fachbegriffen hilft oder vermittelt, wenn Patienten starken Dialekt sprechen.
Deutsche Arbeitgeber müssen umdenken
Modelle wie diese sind bislang die Ausnahme. Zwar ist die Bewerberlage momentan gut, erzählt Julia Dixon, aber deutsche Arbeitgeber konkurrieren mit Unternehmen aus Skandinavien, Großbritannien und der Schweiz, die oft attraktivere Angebote schaffen. Da sei noch ein Bewusstseinswandel bei den deutschen Arbeitsgebern nötig, besonders was längerfristige schlecht- oder unbezahlte Hospitationen vor Beginn der Facharztausbildung angehe. Es sei dramatisch, wenn nur ein Arzt schlechte Erfahrungen an sein Netzwerk weitergebe, sagt die Teamleiterin des Internationalen Personalservice.
Seit neun Monaten arbeitet Kallistheni Leonidou nun im Saarland. Ihre Arbeit gefällt ihr, aber Probleme bleiben nicht aus. "Das Sprachniveau im Klinikum ist sehr hoch und dazu kommt, dass viele Leute Dialekt sprechen, das war die ersten drei Monate sehr schwer." Im Juni durchlebte sie eine kleine Krise, als ihr Freund nach Deutschland kam und keine Stelle fand. Da meldete sie doch noch eine Spezialisierung in Griechenland an. Aber jetzt ist auch er in Deutschland einen Job gefunden und sie wollen bleiben. "Meine Familie will, dass ich die beste Ausbildung bekomme, aber natürlich wünschen sie sich, dass ich in einigen Jahren zurückkomme."
Das schließt sie auch nicht aus. Ihr Traum ist es, nach der Spezialisierung nach Griechenland zurückzugehen und eine Praxis für Endokrinologie zu eröffnen. "Ich glaube ich kann hier in Deutschland nicht so lange bleiben", sagt sie, "aber das haben schon viele griechische Ärzte gesagt und sind trotzdem in Deutschland geblieben - man kann ja träumen."