Gorillas im Krieg
6. November 2012Leise wimmernd hockt der kleine Babygorilla hinter gewaltigen Gitterstäben in seinem Käfig. Er streckt seine Arme durch die Gitterstäbe. Das Gorilla-Kind ist Vollwaise, hat Eltern und Familie verloren. Vier Gorilla-Babies sind in der Parkstation des Virunga-Nationalparks im Ostkongo in einem Käfig mit einem angrenzenden Freiluftgehege untergebracht. Der Virunga-Park ist das älteste Naturschutzgebiet Afrikas und berühmt für seine seltenen Berggorillas.
Normalerweise überleben Gorillas nicht in Gefangenschaft. Deswegen gibt es sie auch in keinem Zoo. Doch diese vier kleinen Gorillas überlebten, weil Parkwächter André Bahuma sie gefunden und aufgezogen hat. 2007 massakrierten Wilderer die Eltern der Gorilla-Waisen. Bahuma hat sie mit der Flasche aufgezogen, erzählt er. "Sie haben in meinem Bett geschlafen, ich habe sie auf dem Rücken herum getragen, ihnen das Laufen und Essen beigebracht. Sie sind wie meine Kinder", lacht er.
Gorillas und Wächter im Kreuzfeuer
Kein Naturschutzgebiet ist in seiner Geschichte so oft von Kriegen und Rebellen heimgesucht worden wie der Virunga-Nationalpark. Auch jetzt, seit die Kämpfe im Frühjahr erneut ausgebrochen sind, streunen wieder unzählige Rebellengruppen durch den Dschungel. Sie nutzen den dichten Urwald als Versteck und ernähren sich von Buschfleisch. Durch ihre bloße Anwesenheit und durch Krankheiten gefährden sie die seltenen Tiere im Nationalpark. Parkdirektor Emmanuel de Merode steht vor einer gewaltigen Herausforderung.
Der südliche Teil des Parks, wo sich das Park-Hauptquartier befindet, wurde vor wenigen Monaten von den kongolesischen M23-Rebellen besetzt. Im nördlichen Teil sind Regierungssoldaten stationiert. Dazwischen verläuft die Frontlinie mitten durch das Naturschutzgebiet, wo sich auch andere Rebellengruppen verstecken, erklärt Parkdirektor de Merode. Der belgische Anthropologe und Naturschützer ist seit 2008 Direktor des Virunga-Nationalparks.
Seit Ausbruch des Krieges 1996 seien rund 140 Park-Ranger getötet worden, erzählt er. Allein in den vergangenen 18 Monaten seien zwölf Wächter umgebracht worden: "Wie es den Gorillas geht, weiß ich momentan nicht. Noch vor einiger Zeit haben Kampfhubschrauber der Regierung und der UN-Truppen dort Bomben abgeworfen."
Abholzung - ein Millionengeschäft
Doch nicht nur Feuergefechte gefährden den Park, sondern auch die Ausbeutung des Waldes durch die verschiedenen Milizen. Da es im Ostkongo immer noch wenig Strom gibt, kochen fast alle Haushalte mit Holzkohle. Der Holzkohlemarkt ist ein gigantisches Geschäft, vor allem in der Millionenstadt Goma an der Südgrenze des Parks. Fast alle Haushalte müssen dort täglich mit Feuerholz versorgt werden. Vor wenigen Jahren entdeckten die ruandischen Hutu-Rebellen der FDLR, der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas, den Holzkohlemarkt als Einkommensquelle. Systematisch fällen sie Bäume, setzen sie in Brand und erzielen mit der Holzkohle gewaltige Gewinne, sagt Parkdirektor de Merode.
Nach seiner Recherche setzt der Holzkohlemarkt pro Jahr 35 Millionen Dollar um. Mehr als 90 Prozent des Feuerholzes stammten aus dem Nationalpark. Das Holz wird illegal geschlagen, in der Regel von bewaffneten Gruppen, die damit Geld machen. De Merode rechnet vor: Ein Sack Holzkohle kostet in Goma 30 Dollar, man kann ihn für 5 bis 10 Dollar produzieren. "Das ist natürlich der finanzielle Antrieb für Rebellenorganisationen. 120.000 Säcke werden pro Monat verkauft, zu je 80 Kilo. Wir können das gar nicht verhindern", sagt de Merode.
Rebellen bieten Touristen-Touren an
Im Vergleich zu den anderen Rebellengruppen, die das Naturschutzgebiet ausbeuten und dadurch international geächtet werden, hat sich die Führung der M23-Rebellen jetzt ein neues Konzept für die Geldbeschaffung ausgedacht: Sie stellen sich selbst als Umweltschützer dar - und wollen dadurch nicht nur Gewinne erzielen, sondern auch ihr Image aufpolieren.
Nachdem die M23-Miliz bis Juli 2012 einen Landstrich entlang der Grenze zu Ruanda und Uganda erobert hatte, etablierten sie in ihrem Territorium einen Staat im Staate. Sie installierten eine eigene Regierung und Verwaltung und ernannten Professor Stanislas Baleke zu ihrem Minister für Umwelt und Tourismus. Damit ist Baleke auch für den Virunga-Park mit den Berggorillas zuständig.
Der Gorilla-Tourismus sei keineswegs zum Erliegen gekommen, erklärt Baleke. Die Parkverwaltung habe zwar verkündet, dass der Nationalpark für den Tourismus geschlossen bleibt, weil es keine Sicherheit gäbe. Doch die M23-Rebellen machen ihre eigenen Touren. "Wir haben seit August 38 ausländische Touristen gehabt, die über uns die Gorillas besuchen", sagt der Tourismusminister der M23. "Amerikanische, britische und belgische Touristen kommen jetzt in unser Territorium und wir garantieren ihnen 100 Prozent Sicherheit", sagt Baleke.
Die M23 haben Kontakte zu Reiseunternehmern in Uganda hergestellt. Das Lockmittel: ein billiges Gorilla-Permit. Eintrittskarten für Gorilla-Touren sind sehr teuer. In Uganda bezahlt man 500 Dollar, in Ruanda sogar 750 Dollar, um eine Stunde lang die seltenen Berggorillas zu besuchen. Das war bisher eine gute Einnahmequelle für die nationalen Parkverwaltungen. Die M23 bietet diese Gorilla-Touren jetzt für 300 Dollar an, plus 50 Dollar für das Visum in das Rebellengebiet. Ein Schnäppchen sozusagen - und eine lukrative Einkommensquelle für die Rebellen.