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Mit Schnaps Fledermäuse schützen? Mexiko zeigt, wie es geht

Enrique Gili
31. Januar 2017

Wenn Sie das nächste Mal eine Flasche Tequila kaufen, denken sie mal daran, dass Cocktails etwas fehlen würde ohne die Hilfe der "Tequila-Fledermäuse".

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Curaçao-Blütenfledermaus
Bild: Tequila Interchange Project/David Suro

Fledermäuse haben sich über Millionen von Jahren Seite an Seite mit Agaven entwickelt. Dieser idealen Beziehung hat die industrielle Landwirtschaft auf Mexikos Tequila-Feldern allerdings schon vor Jahren einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zwei Männer wollen die alte Ordnung wiederherstellen. Sie kommen aus sehr unterschiedlichen Bereichen. Einer wird voller Bewunderung der "Fledermausmann" von Mexiko genannt. Bürgerlich heißt er Rodrigo Medellin. Der andere, David Suro, ist der Gründer des Tequila Interchange Projekts. 

Dass ihnen die “Große Mexikanische Blütenfledermaus” am Herzen liegt, kommt nicht von ungefähr. Die Tiere, die auch Tequila-Fledermaus genannt werden, sind im Schutz der Nacht unterwegs. Auf der Suche nach Nahrung fliegen sie blühende Wüstenpflanzen an. Ihre Tour von Pflanze zu Pflanze hat dabei keineswegs nur Vorteile für sie selbst. Die Tiere helfen den Agaven, im Austausch für Nektar, bei Bestäubung und Verbreitung. Sie sind sogar die wichtigsten Bestäuber der Agaven. Man kann sie im Südwesten der USA und in weiten Teilen Mexikos finden. 
 
Der Fledermausmann von Mexiko
 
Etwa 138 Arten von Fledermäusen gibt es in dem Land. Dazu kommen 220 Arten von Agavenpflanzen. "Mexiko hat mehr Agavenarten als jedes andere Land der Welt", sagt Rodrigo Medellin. Er ist der "Fledermausmann". Der Biologe von der National Autonomous University of Mexico hat sich auf die Wirbeltiere spezialisiert. Schon kleine Veränderungen in der Produktionsweise von Tequila könnten ein Segen für die Fledermäuse sein, sagt er. Außerdem hätten auch die Agaven etwas davon, ihre genetische Vielfalt würde wachsen. 

Die Zahl der Tequila-Fledermäuse hat sich den letzten Jahren jedenfalls merklich erholt, nicht zuletzt wegen der unermüdlichen Arbeit von Medellin und seinen Kollegen. Bereits 1988 hatten die USA die Tiere auf die Liste der gefährdeten Arten gesetzt, Mexiko folgte diesem Schritt im Jahr 1994. 
 
Grundlage des Tequila ist die Blaue Agave. Die Pflanze ist ein Kulturgut in Mexiko und bringt dazu noch Geld ein. So lukrativ, dass immer mehr Monokulturen einer einzigen, besonders ertragreichen Art der Blauen Agave, zu einer Katastrophe führten. Ein Pilz richtete riesigen Schaden auf den Agaven-Feldern an. Auch wenn Forscher Überproduktion und schlechte Landbewirtschaftung als Gründe für das Aufkommen des Pilzes anführten, war Medellin anderer Meinung. Der Rückgang sei auch durch den Verlust der genetischen Vielfalt beschleunigt worden, sagt er. "Die Pflanzen verlieren die genetische Vielfalt jedes Mal, wenn geklonte Triebe genutzt werden."

Eine Große Mexikanische Blütenfledermäuse fliegt nachts an einem Baum vorbei
Große Mexikanische Blütenfledermäuse und Agaven haben eine Beziehung, von der beide profitierenBild: Tequila Interchange Project/David Suro

Heute geht ein Großteil des in Mexiko produzierten Tequilas auf Pflanzen zurück, die vor etwa acht Jahren wegen ihrer maximalen Erträge angebaut wurden. Die Pflanzen sind Kopien voneinander, getrimmt auf schnelles Wachstum und hohen Zuckergehalt, nicht auf Widerstandsfähigkeit. Noch bevor die Pflanzen blühen oder Samen bilden können, werden sie komplett abgeerntet. Aber auf diese Weise berauben Großproduzenten die Fledermäuse einer wichtigen Nahrungsquelle. Außerdem untergraben sie die Zukunft der Tequila-Industrie, so Medellin: "Man braucht zumindest ein paar Pflanzen, die blühen", sagte er.
 
Dieses Ziel versucht Medellin durchzusetzen, mit einer ungewöhnlichen Gruppe von Helfern: Tequila-Produzenten, Wissenschaftlern und Barkeepern. 

Einer davon ist David Suro. Der Restaurant-und Bar-Besitzer gründete 2010 das Tequila Interchange Project (TIP), eine Non-Profit-Organisation, die sich auf die Vermarktung und Förderung von nachhaltig produzierten Agaven-Spirituosen spezialisiert hat. Mit ihrer Arbeit hilft sie auch den Fledermäusen.
 
Laut der Webseite der Organisation könnte eine einfache Idee der Biodiversität der Pflanzen zugute kommen: "Wenn nur fünf Prozent der Agavenpflanzen, also etwa 225 Pflanzen pro Hektar, blühen gelassen werden, sprechen die Züchter eine Einladung an die Verantwortlichen für die Erhaltung der genetischen Vielfalt der Agaven aus: die Fledermäuse!"
 
Zwei Visionen, ein Ziel
 
Während sich Medellin um Arterhaltung in Mexiko und im Ausland bemüht hat, näherte sich David Suro dem Problem aus einer anderen Richtung. Ihm ging es primär darum, den schlechten Ruf, den Tequila bei amerikanischen Verbrauchern hatte, zu wandeln. Als Besitzer eines mexikanischen Restaurants in Philadelphia wusste er, dass seine Kunden Tequila als "Teufelsbrühe" betrachteten, weil sie ihm das so erzählten.
 
Gegen das Vorurteil suchte er Hilfe bei Anthropologen und Historikern. Suro wollte die Bedeutung der Agaven für Mexikos Geschichte und Kultur besser verstehen. Ein Produkt der Region sei Tequila, sagt er, vom Sonnenschein und aus der Mestizo-Gesellschaft. "Tequila steht sinnbildlich für Mexiko", sagte Suro. 
 
Suros Reise zu den Geistern der Agave begann vor etwa 20 Jahren. Über ein immer größeres Netzwerk kam er schließlich in Kontakt mit Medellin. Am Ende entstand der Plan, einen Tequila zu produzieren, der Fledermaus und Agave gleichermaßen nützt.
 
Das Projekt schließt eine kleine Gruppe von Tequila-Produzenten in Jalisco, Mexiko, mit ein. Sie lassen einen kleinen Prozentsatz ihrer Agaven stehen, so dass die Pflanzen blühen und Samen ausbilden können. Das soll die Tequila-Fledermäuse anziehen. "Wir drücken die Daumen, dass die Fledermäuse die dringend notwendige genetische Veränderung und Stärke aus den wilden Agaven in die Tequila-Felder bringen", sagte Suro.

Bauern pflegen Agavenpflanzen
Eine kleine Gruppe von Tequilaproduzenten in Mexiko hat sich bereit erklärt, einige ihrer Pflanzen fledermausfreundlich zu machen Bild: Tequila Interchange Project/David Suro

Bis Dezember 2016 hat die Organisation 3500 Flaschen ihres fledermausfreundlichen Tequila für den Vertrieb in Amerika produziert. Laut Suro steht nun die zweite Stufe des Projekts an. Dabei geht es um die Zusammenarbeit mit Herstellern im Süden Mexikos, deren Methoden auf die spanische Kolonialzeit zurückgehen.
 
TIP ist ein guter Anfang, sagt Rob Mies. "Tequila öffnet eine Tür", so der Gründer der Organization for Bat Conservation. In anderen Worten: Die Faszination, die vom nicht-industriell gefertigten Tequila ausgeht, dient als Auftakt zum Gespräch, das früher oder später auch bei der Rolle der Fledermäuse für die Landwirtschaft ankommen wird. Es helfe natürlich auch, dass Tequila unter Liebhabern der Ruf vorauseilt, die Zungen zu lösen und den Geist zu öffnen. 
 
Mies koordiniert Forschungsprojekte, die die Migration von Fledermäusen über die Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko überwachen. Er glaubt, dass in der Initiative großes Potential schlummert. Tequila habe schließlich bereits etliche Fans in Amerika und im Ausland. Texaner jedenfalls mögen Tequila, sie konsumieren knapp 120 Millionen Liter pro Jahr. Und kommt nun der fledermausfreundliche Schnaps ins Spiel, "ist das eine großartige Möglichkeit, die Menschen mit etwas zu bewegen, dass sie ohnehin schon mögen, und das sind Margaritas."

Nahhaufnahme einer Flasche fledermausfreundlichen Tequilas
Fledermausfreundlicher Tequila könnte dazu führen, dass Menschen der Nutzen von Fledermäusen bewusst wird, sagen Naturschützer.Bild: Tequila Interchange Project/David Suro