EU will Raucher schocken
19. Dezember 2012"Stellen Sie sich mal vor, jeden Tag würde ein Jumbo-Jet mit 300 Passagieren abstürzen. Die Leute würden nicht mehr ins Flugzeug steigen", sagt Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum. 110.000 Menschen in Deutschland sterben nach Angaben des Zentrums jedes Jahr an den Folgen von Tabakkonsum. Doch das schreckt die Raucher nicht ab. "Das Suchtpotenzial ist einfach sehr hoch", erklärt Pötschke-Langer.
Ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland greift regelmäßig zur Zigarette. In anderen Ländern sind die Quoten teilweise sehr viel höher: In Korea, Russland oder Bangladesch raucht über die Hälfte der Einwohner.
Einheitsverpackungen wie in Australien?
Rauchen ist in Deutschland seit Jahren ein Aufreger-Thema. Das Rauchverbot für Bars und öffentliche Gebäude wird weiterhin emotional diskutiert und ist nicht für alle Bundesländer einheitlich geregelt. Die EU-Kommission hat am Mittwoch einen Gesetzesvorschlag für eine neue Tabak-Richtlinie vorgelegt, wonach zukünftig 75 Prozent der Vorder- und Rückseite der Zigarettenschachteln für Warnhinweise verwendet werden müssen. Bislang waren die Hinweise nur halb so groß. Auf allen Packungen sollen zukünftig Fotos von Raucherlungen oder anderen abschreckenden gesundheitlichen Folgen zu sehen sein. Wenn Europaparlament und Staaten zustimmen, könnten die neuen Vorgaben von 2015 an gelten.
Die häufigsten Krankheiten von Rauchern sind Lungenkrebs, chronische Lungenerkrankungen und Herzkreislauferkrankungen, die zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führen können. In Australien, Kanada und Brasilien sind Abbildungen bereits Pflicht. Der Text "Rauchen verursacht Mundhöhlenkrebs" wird etwa zusammen mit einem Foto eines daran erkrankten Menschen auf der Packung kombiniert. Bisher werden Zigarettenschachteln in Deutschland nur mit Text bedruckt, zum Beispiel mit dem Schriftzug "Rauchen tötet".
"Das sind enorme Änderungen", kritisiert Dirk Pangritz vom Deutschen Zigarettenverband (DZV) die Informationen, die ihn über die Presse bis jetzt erreicht haben. Demnach sollen 75 Prozent der Verpackung zukünftig für die Warnhinweise in Text und Bild reserviert sein. "Für die eigentliche Marke bleibt nicht mehr viel übrig", sagt Pangritz im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er hält die Pläne für "nicht mehr tragbar". Sollten die Richtlinien beschlossen werden, hat der Tabakkonzern Reemtsma angekündigt, rechtliche Schritte dagegen einzuleiten.
Der DZV sei sich trotz seiner Kritik an den Vorgaben der EU der Verantwortung gegenüber den Konsumenten bewusst, so Pangritz. Sein Verband, der eine Reihe von Tabakkonzernen vertritt, unterstütze zum Beispiel die Geschäfte dabei, dass Jugendliche unter 18 Jahren keine Zigaretten kaufen könnten.
Bilder prägen sich ein
Tatsächlich sei der Trend bei jungen Leuten rückläufig, bestätigt Pötschke-Langer im Gespräch mit der DW. Aber gerade diese Zielgruppe habe die Tabakindustrie im Visier. Umfragen in Australien und Kanada haben ergeben, dass neun von zehn Jugendlichen sich deutliche Warnhinweise wünschen. "Auch in Deutschland spricht sich die Mehrheit dafür aus", sagt die Wissenschaftlerin.
Und die Fotos zeigen ihre Wirkung, versichert Pötschke-Langer. "Wir wissen aus Untersuchungen, dass diese bildgestützten Warnhinweise die Wahrscheinlichkeit eines Rauchstopps erhöhen." Dem Argument der Zigarettenlobby, dass Verbraucher bereits nahezu lückenlos über die Gefahren des Rauchens informiert seien, widerspricht sie. "Besonders bildungsferne Schichten entziehen sich der Aufklärung oft." Und diejenigen, die seit vielen Jahren rauchen, hätten sich längst an die Texthinweise gewöhnt. Deswegen gelte es, die Strategie ab und an zu wechseln: "Warnhinweise sind ein wirksames und kosteneffektives Mittel Kommunikationsmittel, denn sie erreichen jeden Raucher unmittelbar", so Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum.
Ein Supermarkt voller Einheitspackungen?
Nun ist Tabak nicht das einzige Genussmittel, das schädliche Folgen für die Gesundheit haben kann - auch zu hoher Zuckerkonsum kann krank machen. Pangritz sieht seine Industrie daher im gleichen Boot wie Hersteller anderer Produkte: "Stellen wir uns vor, Limonade dürfte nur in einer Art Flasche verkauft werden." Das bedeutete die Enteignung einer Marke.
Doch vor so einem Vergleich warnt Pötschke-Langer. "Tabak hat ein Alleinstellungsmerkmal. Die Hälfte aller Raucher stirbt an den Folgen des Konsums. Das gibt es bei keinem anderen Produkt." Zucker sei zum Beispiel erst bei übermäßigem Genuss schädlich. Aber schon eine Zigarette enthielte eine "enorme Giftlast", die bereits Veränderungen im Körper verursachen könne.