Sonder-Staatsanwälte gegen kriminelle Clans
30. August 2018Duisburgs Norden gilt seit Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung als Region, die von Migranten, Gewalt und Kriminalität geprägt ist. Besonders die Stadtteile Hamborn, Hochfeld und Marxloh stehen dabei im Fokus. Schnell handelten sich diese Bezirke die wertende Bezeichnung "No-Go-Area" ein.
Allen Stadtteilen ist gemeinsam, dass der industrielle Niedergang und eine desaströse Stadtpolitik die Viertel verkommen ließen. Migranten wurden dort von den Behörden untergebracht. Die deutschen Bewohner zogen, sofern sie es sich leisten konnten, im Laufe der Jahre vermehrt weg. Im Stadtteil Marxloh leben zum Beispiel jetzt nach Informationen der Stadt Duisburg rund 54 Prozent der Einwohner ohne deutschen Pass.
Rechte auf dem Vormarsch
Das schlägt sich inzwischen auch in den Wahlergebnissen nieder. So holte die rechtspopulistische AfD in der ehemaligen SPD-Hochburg satte 30 Prozent in einigen Stimmbezirken. Ihren Wahlslogans richteten sich vornehmlich gegen Ausländer.
Nun hat sich das nordrhein-westfälische Justizministerium einen besondere Maßnahme ausgedacht, die direkt medienwirksam im Beisein des Landesjustizministers Peter Biesenbach (CDU) präsentiert wurde. Zwei Sonder-Staatsanwälte sollen gegen die so genante Clankriminalität mit rund 70 Großfamilien kurdischer, türkischer oder arabischer Herkunft vorgehen. Rund 2800 Mitglieder soll die Gruppe umfassen. Davon sind nach Behördenangaben rund 880 Personen bislang straffällig geworden. Schwerpunkte der Kriminalität sind Gewaltdelikte, Drogenhandel, Betrug und Geldwäsche.
"Massive Polizeieinsätze"
Der Leiter des Projekts, Oberstaatsanwalt Stefan Müller erläutert die Idee des Ministeriums: "Der ursprüngliche Anfang war, dass man auch gefühlt das Phänomen wahrgenommen hat, dass es bei Nichtigkeiten wie einer Verkehrskontrolle immer häufiger zu Tumultlagen gekommen ist. Es haben sich Menschenansammlungen gebildet, die schlussendlich nur durch den Einsatz erheblicher Polizeikräfte eingedämmt werden konnten."
Die von rechten Politikern immer wieder geäußerte Forderung nach der Abschiebung krimineller Ausländer weist Müller von sich. "Für uns ist die Herkunft egal. Wir verfolgen rein strafrechtlich. Deswegen haben wir auch nichts damit zu tun, wenn ein straffällig gewordener Nichtdeutscher abgeschoben wird oder nicht. Das ist Sache der Ausländerbehörde. Denen geben wir aber natürlich als Ermittlungsbehörden gegebenenfalls unsere Informationen", sagt Müller.
Die Staatsanwälte gehen bei ihrer Arbeit andere Wege als üblich. Sie sind als "aufsuchende" Staatsanwälte vor Ort unterwegs. Normalerweise arbeiten Juristen in ihren Dienstzimmern ihre Akten ab. Zur Arbeit dieser Juristen gehören der regelmäßige Kontakt zur Ermittlern, Bundespolizei, Finanzbehörden und der Jugendgerichtshilfe. Unterstützt werden sie dabei von Sachbearbeitern, die eigens für die Sonder-Staatsanwälte abgestellt wurden. Das hat den Vorteil, dass sich die gesamte Abteilung immer mit dem gleichen Personenkreis beschäftigt. Somit kann viel eher wahrgenommen werden, ob jemand der bereits straffällig geworden war, weiter auffällt oder sich aus dem Milieu zurückgezogen hat.
Kritik aus dem Viertel
Aber nicht alle finden, dass die Sonder-Staatsanwälte vor Ort einen Beitrag zur Verbesserung der Situation in den Vierteln darstellen. Pater Oliver Potschien ist Seelsorger, Sozialarbeiter und Daueransprechpartner der Menschen im viel kritisierten Marxloh. Er arbeitet im Petershof, einer sozialen Institution im Viertel. "Für mich stellt sich die Frage nach dem Konzept. Ich sehe keins. Die Polizei in Marxloh ist so eingerichtet, dass selbst Derrick sie als altmodisch bezeichnet hätte. (Anmerkung: Derrick war eine TV-Polizeiserie aus den 1970er Jahren). Die haben noch nicht mal ein eigenes Polizeiauto", kritisiert Potschien. Auch wenn der Polizeiwagen fehlt, verfügt Marxloh doch über eine teure Überwachungsanlage. Die kontrolliert allerdings nur eine Straßenkreuzung.
Dass es Kriminalität in den Stadtteilen gibt, ist ihm auch klar. "Es besteht überhaupt kein Dissens, dass die Polizei bei Straftaten eingreifen muss. Aber es hat etwas von Katastrophenromantik, was hier so herüberkommt." Zugleich verwehrt sich der Pater dagegen, dass Marxloh die höchste Kriminalität in der Stadt aufweist. "Das stimmt nicht. Andere Viertel wie die Innenstadt sind viel schlechter dran."
Der katholische Priester stört sich auch an der Begrifflichkeit "der libanesischen Großfamilie", die insbesondere in den Medien immer wieder hochgekocht werde. "Es sind viel staatenlose Kurden dabei, die die Türkei vor Jahrzehnten in den Libanon abgeschoben hat oder die dorthin geflüchtet waren. Nach Beginn des Bürgerkriegs im Libanon wollten diese Menschen zurück in die Türkei, die sie ablehnte. So kamen sie als Asylsuchende nach Deutschland und hatten als solche keine Arbeitserlaubnis, was zusätzlich die Integration erschwert hat, so Potschien.
"Redet mit den Leuten"
Pater Oliver Potschien sieht nur eine Möglichkeit zur Verbesserung der Situation. "Man muss mit den Leuten sprechen. Dazu müsste man ein Stadtteilbüro eröffnen, in dem ein Polizist, ein Sozialarbeiter, eine Krankenschwester und ein Mitarbeiter des Jobcenters sitzen. Aber ich habe das immer wieder gebetsmühlenartig gepredigt. Aber es ändert sich nichts."
Einer, der in diesem Viertel geboren wurde, ist Halil Tas. Der 22-Jährige stammt aus einer dieser großen Familien, von denen immer wieder die Rede ist. Zurzeit macht er im Petershof bei Pater Oliver eine kaufmännische Ausbildung. "Ich finde, es wird alles viel zu sehr hochgeputscht. Es wird über die Libanesen zum Beispiel niemals ein ein gutes Wort verloren. Alles ist immer nur schlecht."
Tas übt besonders Kritik an der fehlenden Integration und daran, dass die Politik den Stadtteil sich selbst überlassen habe. "Ich kann nur sagen, dass alle, die nach Deutschland eingewandert sind und nach Duisburg kamen, immer nur nach Marxloh und Hamborn hereingeschoben wurden, und wir müssen sehen, wie wir damit fertig werden."
Dennoch mag Tas seinen Bezirk, trotz aller Mängel. "Nach außen ist es immer nur eine No-Go-Area, aber das ist es nicht. Man braucht hier keine Angst zu haben."