Mit Wespen und Drohnen auf Schädlingsjagd
14. November 2019Schlupfwespen mögen es mollig warm. Um 25 Grad Celsius fühlen sich die kaum einen halben Zentimeter kleinen Insekten besonders wohl. "Dann klappt's auch mit der Vermehrung", sagt Bernd Wührer und öffnet die Tür zu einem großen Klimaschrank. Darin krabbeln und fliegen unzählige der Tierchen. Doch Wührer greift bei diesem Anblick nicht panisch zur Dose mit dem Insektenspray, er freut sich im Gegenteil über das rege Treiben.
Schließlich sind die in Glasbehälter verpackten Insekten in seinem Schrank kein lästiges Ungeziefer, wie er betont. Vielmehr seien sie der natürliche Feind des Maiszünslers, einer Mottenart, die weltweit große Schäden an Getreide verursacht. Und deswegen ist Trichogramma, wie diese Schlupfwespenart wissenschaftlich heißt, nicht nur bei Wührer gern gesehen.
Der 57-jährige promovierte Biologe ist Geschäftsführer der Firma AMW Nützlinge aus dem hessischen Pfungstadt. Knapp 50 Kilometer südlich von Frankfurt am Main gelegen, züchtet das Unternehmen quasi die biologische Alternative zu giftigen Insektiziden: Nützlinge. Ob Schlupfwespen, Brackwespen, Lagererzwespen und spezielle Wanzensorten - sie alle eignen sich zur umweltfreundlichen Bekämpfung von Getreide- und Vorratsschädlingen. Mit Insekten gegen Insekten, so das Konzept.
Abnehmer aus Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal und fast ganz Osteuropa setzen auf Wührers Nützlinge. In Feldern und Lagerhallen, Gewächshäusern, Geschäften, bei Futterhändlern und in Privathaushalten gehen Wespen und Wanzen aus Pfungstadt auf die Jagd nach Schädlingen. Vollkommen biologisch, ohne den Einsatz von Gift, aber mit genauso hoher Erfolgsquote.
Huckepack zu neuen Feldern
Wie sie dabei vorgehen, könnte allerdings Stoff für einen Horrorfilm sein: Die Schlupfwespe legt ihre Eier - je nach Art - in Ei oder Larven eines Schädlings. Die daraus schlüpfenden Nachkommen der Wespe fressen das Ei des Schädlings von innen leer oder ernähren sich von der Larve. Das Wirtstier hat keine Chance.
"Das klingt gruselig, ist aber von der Natur so gewollt", erläutert Wührer. Die Schlupfwespe ist ein Parasit, der sich ohne Wirt nicht entwickeln kann. Manche Schlupfwespen würden "ihrem" Schädling in der Natur sogar huckepack folgen. Die deutlich kleineren Schlupfwespen setzen sich dazu auf ihren Wirt, etwa den Maiszünsler, und fliegen mit, wenn sich dieser auf den Weg zu neuen Feldern macht.
Weil aber nicht jede Motte mit Nützling reist, hilft AMW. Pro Hektar Maisfeld werden etwa 100.000 bis 200.000 Schlupfwespen benötigt. Allein in Deutschland werden die Nützlinge auf 50.000 Hektar Mais ausgebracht, in Frankreich auf bis zu 100.000 Hektar.
Für die Vermehrung von Schlupfwespe und Co. braucht es jedoch nicht nur angenehme Temperaturen, sondern auch ein Wirtstier oder genauer: dessen Eier. "Ohne die können auch wir nicht produzieren", erklärt Wührer. Was wie ein Blatt Schleifpapier aus dem Baumarkt wirkt - graubraun und grobkörnig - sind zahllose, auf einem Pappkärtchen klebende Motteneier: die "Kinderstube" für Nützlingsnachwuchs.
Auch konventionelle Landwirte setzen auf Nützlinge
Sind die Wespen geschlüpft beginnen sie wiederum, selbst nach Schädlingseiern zu suchen in die sie ihre Eier legen können und der Kreislauf beginnt von vorn.
Unter anderem beschere der anhaltende Bio-Boom in Europa der Nützlingsproduktion steigende Nachfrage. "Wir haben aber auch sehr viele Kunden aus der konventionellen Landwirtschaft", berichtet Wührer. Weil viele Arten von Pestiziden in Europa inzwischen verboten sind, würden stattdessen Nützlinge eingesetzt. Besonders in Frankreich seien sie gefragt.
Die Kärtchen mit den parasitierten Eiern werden per Hand über Maispflanzen gehängt. Weil das ab einer gewissen Anzahl von Hektar aber mühsam und zeitraubend ist, hat AMW eine besondere Art für das Ausbringen entwickelt: die "Trichokugel". Hergestellt aus sogar essbarem Bio-Werkstoff sind diese Kügelchen etwas größer als eine Murmel.
Bestückt mit bis zu 2000 Trichogramma werden sie via Helikopter abgeworfen. In Deutschland kommen dazu meist Drohnen zum Einsatz, in Frankreich Hubschrauber. Diese Methode hat sich AMW patentieren lassen. 2018 hat das Unternehmen sein Know-How darüber sogar nach Kanada vermittelt, wie Wührer erzählt. Nur der Nützling selbst könne leider keine so weiten Reisen unternehmen. "Lebende Tiere aus der EU herauszubringen ist sehr aufwendig, erfordert viel Papierkram und kostet Zeit."
Zudem dürfen Tiere, die in Europa heimisch sind, nicht einfach in Kanada, Afrika oder Asien ausgesetzt werden. "So soll verhindert werden, dass durch eingewanderte Arten plötzlich heimische Ökosysteme gestört werden könnten", erläutert Wührer.
Weltweiter Handel trägt auch Schädlinge weiter
Zwar gebe es immer wieder Anfragen von Entwicklungshilfediensten, die genannten Hürden erschwerten jedoch die Zusammenarbeit. Obgleich viele Schädlinge, die etwa in Nordafrika vorkommen, ähnlich jenen seien, die im europäischen Mittelmeerraum vorkommen, so Wührer. Mit einem Biologen aus Ägypten, einem Studienfreund, tausche er sich aber regelmäßig aus.
Auch behalte AMW Schädlinge im Auge, die in anderen Regionen der Welt vorkommen - und forscht an deren biologischer Eindämmung. "Denn durch wärmere Sommer, milde Winter und Transporthilfe durch Warenverkehr haben wir in Europa plötzlich Insekten, die es hier vor wenigen Jahren noch nicht gab." Eines dieser reisefreudigen Exemplare sei die grüne Reiswanze. Anders als ihr Name vermuten lässt, labe sich diese jedoch nicht nur Reis. "Die frisst hier alles", sagt Wührer. Auch Mais.
Dennoch ist er zuversichtlich, dass sich unter seinen Insekten eine Sorte findet, die diesem hungrigen Schädling den Garaus machen kann. Gegen den Baumwollkapselwurm etwa, der sich zunehmend in Frankreich ausbreite, habe sich schließlich auch das passende "Gegenmittel" gefunden: "Schlupfwespen made in Pfungstadt".