Kosovo: Leben in einer geteilten Stadt
30. September 2020Der Fluss Ibar, der sich durch Mitrovica schlängelt, trennt Menschen aus zwei Ethnien: Auf der südlichen Seite des Flussufers leben Albaner, auf der nördlichen Serben. 20 Jahre nach Ende des Kosovo-Krieges ist die Stadt im Norden Kosovos also nach wie vor de facto geteilt.
Viele Bürger Mitrovicas hatten noch nie den Mut, die für den Autoverkehr gesperrte Brücke über den Ibar zu überqueren. Sie wird durch schwer bewaffnete italienische Soldaten und gepanzerte Fahrzeuge der KFOR bewacht. Noch immer muss die NATO-Schutztruppe für Frieden und Stabilität in Kosovo sorgen.
Auch zwölf Jahre nach der Erklärung der Unabhängigkeit der ehemaligen jugoslawischen Provinz erkennen die Serben im Norden von Europas jüngstem Staat die Regierung in der Hauptstadt Pristina nicht an. Ihre politische Führung arbeitet eng mit der serbischen Regierung in Serbiens Hauptstadt Belgrad zusammen.
Wer die Brücke über den Ibar von Süden nach Norden überquert, wird von wie zufällig in Autos wartenden Männern in ziviler Kleidung genau beobachtet. Sie blicken die Passanten finster an, manche werden auch rüde angesprochen. Auf der Nordseite der Brücke angekommen hat man nicht mehr das Gefühl, in Kosovo zu sein: Eine lange Reihe rot-blau-weißer Flaggen, die der weiße Adler Serbiens ziert, weht am Eingang nach Nord-Mitrovica; die Flagge der Republik Kosovo fehlt.
Zweisprachigkeit hilft
Dhurata Prokshi kommt hier jeden Tag vorbei. "Natürlich ist es nicht das beste Gefühl, wenn man als Albanerin in den Norden muss, um zur Arbeit zu kommen", berichtet die 33jährige Übersetzerin im Gespräch mit der DW. Gleichzeitig weiß Dhurata: "Die Serben aus dem Norden haben die gleichen Gefühle, wenn sie in den südlichen Teil Mitrovicas müssen."
Dabei gab in dem Jahr, seitdem Dhurata am Amtsgericht im Norden der geteilten Stadt arbeitet, nie Konflikte. Ihre Beziehungen zu ihren serbischen Kollegen beschreibt die Übersetzerin als gut.
Dass sie sowohl ihre albanische Muttersprache als auch Serbisch beherrscht, erleichtert die Kommunikation mit Bürgern aller Ethnien Kosovos. "In Einrichtungen wie dem Gericht gibt es keine Probleme, wenn ich Albanisch spreche. Aber wenn man im Norden in ein Restaurant oder Café geht und auf Albanisch bestellen will, kann man nicht wissen, wie die Leute dort darauf reagieren," erklärt Dhurata.
Von Norden nach Süden
Am südlichen Ende der Brücke über den Ibar weht eine große rote Fahne mit einem schwarzen Adler in der Mitte: Das Staatswappen Albaniens. Die Flagge der Republik Kosovo fehlt auch hier.
Hier überquert Miloš Vučinić regelmäßig die unsichtbare Grenze zwischen dem serbischen und dem albanisch dominierten Teil Mitrovicas. Der 23jährige Serbe arbeitet als Englischlehrer für eine Hilfsorganisation, die im Süden der geteilten Stadt ihren Sitz hat. Früher, als er die ersten Male hier war, begleiteten ihn Angst und Unsicherheit jede Minute seines Aufenthalts, berichtet der er der DW. "Gleichzeitig ließ mich aber die Neugier nicht los,", so Miloš weiter, "ich wollte herausfinden, wie das Leben im anderen Teil von Mitrovica aussieht."
Englisch vermeidet Konflikte
Da Miloš kein Albanisch spricht, kommuniziert er auf Englisch, wenn er im südlichen Teil der Stadt unterwegs ist. Die Fremdsprache bietet Sicherheit und vermeidet Konflikte. "Ich habe auch ein paar albanische Freunde bei der Arbeit," berichtet er, "mit denen gehe von Zeit zu Zeit einen Kaffee trinken. Sie waren zuerst überrascht, als ich ihnen sagte, dass ich vorher noch nie im Süden von Mitrovica war. Sie haben mir zuerst Süd-Mitrovica gezeigt - und dann Pristina."
Die Folgen der Teilung ihrer Stadt treffen von allen Bürgern Mitrovicas die jungen Serben im Norden am härtesten, meint Miloš. "Sie sehnen nach einem Leben ohne Einschränkungen und wollen beruflich weiter kommen. Im Norden gibt es da kaum Möglichkeiten. Wir hoffen, dass das in Zukunft endlich besser wird."