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Experten warnen vor neuem Hooliganismus

Felix Tamsut
23. Dezember 2019

Die Hooligans von heute haben nicht mehr viel mit den Krawallmachern in Fußballstadien von einst gemeinsam. Sie trainieren Vollkontakt-Kampfsport, sind vernetzt und haben oft Verbindungen zu Rechtsextremisten.

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EURO 2016 Island - Ungarn | Fan mit Hooligan Tätowierung
Bild: picture-alliance/dpa/P. Powell

Gewalttätig, betrunken oder unter Drogen - das sind gängige Klischees für Fußball-Hooligans. Früher mögen sie auch zugetroffen habe, heute sieht die Realität häufig anders aus: Viele moderne Hooligans pflegen einen gesunden Lebensstil, meiden Alkohol und trainieren die Vollkontakt-Kampfsportart Mixed Martial Arts (MMA). Viele von ihnen sind Rechtsextremisten. Osteuropa ist die Heimat einiger der berüchtigtsten Hooligan-Gruppen.

Kämpfe auf neutralem Boden

Gewalttätige Zwischenfälle mit Hooligans sind in den westeuropäischen Fußballstadien so gut wie verschwunden, aber das heißt nicht, dass es sie nicht mehr gibt. Hooligan-Gruppen, die in der Regel gut vernetzt sind, treffen sich zu Prügeleien bei so genannten "Ackermatches" auf dem platten Land, weit weg von Stadien oder Stadtzentren. Die Kampfregeln und die Anzahl der Teilnehmer werden im Voraus festgelegt. Nach einem kurzen Kampf steht eine Mannschaft als Sieger fest. Als Zeichen des gegenseitigen Respekts posieren die beiden Hooligan-Teams dann oft gemeinsam vor der Kamera, posten die Bilder anschließend in den sozialen Netzwerken oder laden sie auf Hooligan-Websites hoch.

Robert Claus befasst sich seit vielen Jahren mit der Hooliganszene. Der Fanforscher und Autor schätzt die Zahl der Hooligans in Deutschland auf mehrere Tausend. Die "Ackermatches" seien Anfang der 2000er Jahre zu einem zentralen Bestandteil der Szene geworden. "Der Hooliganismus hat sich von schlecht organisierten Straßenkämpfen zu einem internationalen Netzwerk aus Kampfsport und Geschäft entwickelt", sagte Claus der DW. "Die Vielfalt der Veranstaltungen, Bekleidungsmarken und Fitnessstudios belegen dies." Allerdings könne nicht verallgemeinert werden, dass jeder in der MMA-Szene auch ein Rechtsextremist sei.

Um das Hooligan-Problem in den Griff zu bekommen, fordert Claus ein Umdenken. "Meiner Meinung nach sind die Ultras in den Stadien zu sehr in den Fokus gerückt worden. Die Behörden haben jahrelang die Augen davor verschlossen, dass der Hooliganismus professionalisiert worden ist, forciert auch von rechtsextremen Kräften."

Grüne fordern Eingreifen der Regierung

Dieser Meinung ist auch die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar, Sprecherin der Grünen-Fraktion für Sportpolitik. "Wir verfolgen die Professionalisierung der Gewalt von Rechtsextremisten mit großer Sorge", sagte Lazar der DW. Die Bundesregierung müsse gegen das aus ihrer Sicht "gefährliche Phänomen" vorgehen, dass Neonazis Fitnessstudios, Kampfsport-Events und Modelabels zu ihrem Geschäftsmodell gemacht hätten: "Die Regierung hat kaum eine Vorstellung davon, was mit dem Geld passiert, das durch die Aktivitäten der MMA-Szene in die Taschen der Rechtsextremen fließt".

Monika Lazar MdB
Grünen-Bundestagsabgeordnete Monika LazarBild: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen/CC BY 2.0

Die Grünen-Politikerin plädiert für ein bundesweites Programms, mit dem Mitglieder der MMA-Szene für die Gefahren des Rechtsextremismus sensibilisiert werden sollen. Überfällig seien auch Regeln dafür, wer in Deutschland ein Kampfsportstudio betreiben dürfe, sagte Lazar: "Frankreich ist bei der Lizenzierung dieser Studios schon weiter. So etwas kann Rechtsextremisten abschrecken."

Weniger Zwischenfälle in Stadien

Dass sich das Hooligan-Problem aus den Fußballstadien heraus verlagert hat, belegen die Daten der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZiS) der Polizei, die seit der Saison 1999/2000 erhoben werden. In der Spielzeit 2018/19 sank die Zahl der Strafverfahren im Zusammenhang mit Fußballspielen (6289) um neun Prozent im Vergleich zur Vorsaison, auf den niedrigsten Stand seit zwölf Jahren. Die Zahl der gewaltbereiten Besucher in den drei höchsten deutschen Ligen beziffert der Bericht mit knapp 13.400, bei insgesamt 22 Millionen Zuschauern.

Fussball Bundesliga 9. Spieltag l Dortmund vs Hertha – 1:1 - Ausschreitungen
Polizeieinsatz im Dortmunder StadionBild: Reuters/l Kuegeler

"Die Lage hat sich deutlich verbessert," sagte Nicole Selmer, Chefredakteurin des österreichischen Fußballmagazins "Ballesterer", die sich seit langem mit dem Thema Gewalt im Fußball beschäftigt. Die Professionalisierung der Vereine, steigende Einnahmen und eine zunehmende Medienberichterstattung hätten mit dazu beigetragen, dass der Fußball in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland sicherer geworden sei - auch wenn der Eindruck häufig ein anderer sei. "Das liegt daran, dass der Fußball in der deutschen Gesellschaft eine immer größere Rolle spielt und daher viel mehr im Fokus steht."

Expertin hält wenig von Stadionverboten

Bei der Gewaltprävention könne die Arbeit der Fanprojekte gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, sagte Selmer. Die Mitarbeiter dieser Projekte hätten tiefe Einblicke in die Fankultur, was man von den Behörden nicht unbedingt behaupten könne. Von Stadionverboten für gewalttätige Fans, wie sie immer häufiger von Vereinen, Polizei und Strafbehörden ausgesprochen werden, hält Selmer wenig. "Wenn man Menschen aus dem Stadion verbannt, verschwinden sie nicht einfach", sagt Selmer. "Sie werden stattdessen nur irgendwo anders auftauchen." Zum Beispiel bei Hooligan-Aufmärschen, die in Gewalt münden, wie 2014 in Köln oder 2018 in Chemnitz.