Mursis Griff in die Giftkiste
17. Januar 2013Das Jahr 2010. In Ägypten herrscht Diktator Husni Mubarak. Mohammed Mursi ist Führungskader der Muslimbrüder. Und nimmt kein Blatt vor den Mund. In einem Interview beschimpft er die "Zionisten" als "Blutsauger", "Kriegstreiber" und "Nachfahren von Affen und Schweinen".
Damals kennt zumindest im Westen kaum jemand den Muslimbruder Mursi. Seine Äußerungen bleiben unbeachtet. Jetzt hat das in Washington ansässige Middle East Media Research Institute (MEMRI) mehrere ältere Interviews Mursis mit arabischen TV-Sendern wieder ausgegraben, ins Englische übersetzt und im Internet veröffentlicht.
"Zutiefst beleidigend" seien die Äußerungen, erklärte das US-Außenministerium. Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, hält sie sogar für klar antisemitisch. Die Statements seien aus dem Zusammenhang gerissen worden, verteidigte sich Mursi. Sie seien im Kontext des gewaltsamen Vorgehens Israels im Gaza-Streifen gefallen.
Pragmatischer Polemiker
Seit seinem Amtsantritt hatte Mursi versucht, sich als gemäßigter und pragmatischer Politiker zu präsentieren. Mursi ist auf ein gutes Verhältnis mit der US-Regierung angewiesen. Die USA unterstützen Ägypten jedes Jahr mit rund einer Milliarde Euro Militärhilfe. Im Gegenzug erwarten die US-Amerikaner Wohlverhalten gegenüber Israel. Mursis radikale Aussagen könnten das Misstrauen zwischen der neuen ägyptischen Führung und dem Westen verstärken.
"Die Zionisten", hatte Mursi in einem der Interviews gesagt, "müssen aus unseren Ländern vertrieben werden. Die Verhandlungen mit ihnen müssen beendet werden. Es ist unsere Pflicht, den Widerstand zu unterstützen."
Auch die geplante Zweistaatenlösung für Israelis und Palästinenser lehnte Mursi in einem Interview mit dem Hamas-nahen Al-Quds TV ab: "Wir fordern einen Staat für die Palästinenser auf dem gesamten Boden Palästinas. Es wird vom Frieden gesprochen und von einer Zweistaatenlösung, aber das sind Illusionen."
Volkes Stimme
Mursis Einlassungen seien zwar "beleidigend" und "fast volksverhetzerisch", aber im Grunde "nicht verwunderlich", sagt Asiem El-Difraoui, Nahostexperte am Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik. "Die ägyptische Volksmeinung", ergänzt El-Difraoui, "ist extrem antiisraelisch." Mursi habe im Grunde nur wiedergegeben, was viele Ägypter denken. "Der Frieden von Camp David ist eigentlich ein ganz kalter Frieden."
Letztlich aber würden Mursis heutige Erklärungen und Haltungen zählen, "und da scheint er ja Camp David akzeptiert zu haben." Im Großen und Ganzen, so El-Difraoui, habe sich Mursi bisher als Pragmatiker gezeigt.
Zurückhaltende Reaktionen in Israel
In Israel wurden die Mursi-Statements zurückhaltend aufgenommen. Die israelischen Zeitungen beschränkten sich darauf, die wichtigsten Aussagen darzustellen. "Die Fundamentalisten und die Islamisten", sagt Ex-Botschafter Avi Primor, "haben immer wieder solche Sachen gesagt, wir kennen das schon." Deswegen sei die Aufregung relativ gering gewesen.
Letztlich müsse man zwischen der Ideologie Mursis und seinem tatsächlichen Handeln unterscheiden. "Wenn man erst einmal an die Macht gekommen ist, spielt die Ideologie nur noch eine kleine Rolle. Wenn Mursi an der Macht bleiben will, muss er tun, was für Ägypten unentbehrlich ist. Und der Friedensvertrag mit Israel ist für Ägypten total unentbehrlich. Das gehört zur ägyptischen Staatsräson. Unter den heutigen Umständen kann Mursi sich keinen Krieg leisten." Der ägyptische Präsident stehe zum Friedensvertrag. Während des jüngsten Gaza-Krieges habe er sich "sehr behilflich und positiv" verhalten. "Und das ist die Hauptsache."
Avi Primor glaubt nicht, dass Mohammed Mursi ein Risiko darstellt - aber der israelischen Rechten kommen seine Äußerungen gerade recht. Denn Anfang kommender Woche wird in Israel gewählt. Und die Rechten, so Primor, "betonen in ihrer Propaganda immer wieder die Gefahr: Wir müssen uns verteidigen, die anderen wollen uns vernichten."
Kein Zufall vielleicht, dass MEMRI Mursis Aussagen gerade jetzt veröffentlicht. Denn das Institut ist umstritten. Die britische Tageszeitung "The Guardian" und andere Kritiker werfen dem MEMRI enge Beziehungen zum israelischen Militär und zu rechtsgerichteten US-amerikanischen Forschungsinstituten vor.