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Politik

Maia Sandu: "Wir befreien den gekaperten Staat"

Vitalie Călugăreanu
1. Juli 2019

Nach dem dramatischen Machtkampf in der Republik Moldau beginnt für die neue Regierung das "Ausmisten", sagt Ministerpräsidentin Maia Sandu. Die Diener des alten Oligarchen-Regimes gehen - einer nach dem anderen.

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Maia Sandu ist seit dem 8. Juni die Premierministerin der Republik Moldau
Maia Sandu ist seit dem 8. Juni die Premierministerin der Republik Moldau Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Buga

DW: Frau Sandu, bei unserem letzten Gespräch saßen wir noch im bescheidenen Büro Ihrer Partei, heute treffen wir uns im Regierungsgebäude. Damals bezeichneten Sie die Republik Moldau als einen "gekaperten Staat". Was für ein Staat ist sie heute?   

Maia Sandu: Wir sind dabei, diesen gekaperten Staat zu befreien. Die Diener des Plahotniuc-Regimes gehen, einer nach dem anderen. (Anm. d. Red.: der Oligarch und PDM-Parteichef Vladimir Plahotniuc verzichtete Mitte Juni auf die Macht. Davor hatte er sich mehrere Tage lang geweigert, die neue Regierungskoalition anzuerkennen - bestehend aus dem pro-europäischen Block ACUM, zu dem auch Maia Sandu gehört, und den pro-russischen Sozialisten). Wir sind uns allerdings bewusst, dass es noch Institutionen gibt, die immer noch unter deren Kontrolle stehen. Wir sind fest entschlossen, den Staat "auszumisten".

Der Oligarch Plahotniuc verzichtete auf die Macht und floh aus dem Land. Wieso ließ man ihn gehen?   

Das müssen wir noch herausfinden. Dass er das Land verlassen hatte, erfuhren wir erst nach der öffentlichen Erklärung seiner Partei PDM, sie werde die neue Regierung anerkennen. Die verantwortlichen Institutionen können bis heute keine klaren Informationen darüber bieten, wie Plahotniuc das Land verlassen konnte - aber es ist klar, dass er seinen Einfluss auf bestimmte Institutionen nutzen konnte, um keine Spuren zu hinterlassen.

Es gibt auch im Ausland Befürchtungen, dass die temporäre Zusammenarbeit zwischen ACUM und der pro-russischen "Partei der Sozialisten" (PSRM) die russischen Föderalisierungspläne für die Republik Moldau wieder aufleben lässt. (Anm. d. Red.: das abtrünnige, pro-russische Transnistrien hat sich Anfang der 1990er Jahre von der Republik Moldau abgespalten und erkennt die Regierung in Chisinau nicht an. Durch diesen eingefrorenen Konflikt ist das Thema besonders heikel.). Womit rechnen Sie im Kontext der immer engeren Beziehungen zu Russland?   

Es kann nicht zu einer Föderalisierung kommen, solange wir von ACUM ganz klar dagegen sind. Was Russland betrifft: Auch uns hat das Engagement Moskaus, Plahotniuc aus dem politischen Leben zu entfernen, überrascht. Die Vereinbarung mit der "Partei der Sozialisten", die wir unterschrieben haben, ist die einzige Vereinbarung, die wir haben, sie ist öffentlich zugänglich. Wir müssen sehen, wie weit diese Zusammenarbeit reicht. Im Moment respektieren beide Seiten ihre Zusagen.        

Vor den Parlamentswahlen im Februar hatten Sie Ihren Wählern versichert, Sie würden nicht mit den pro-russischen Sozialisten zusammenarbeiten. Ist die aktuelle Koalitionsregierung von ACUM und den Sozialisten also ein Betrug an den Wählern von ACUM? 

Maia Sandu im DW-Interview
Maia Sandu im Gespräch mit Vitalie Calugareanu, DW-Korrespondent in ChisinauBild: DW/S. Bucico

Wir mussten uns entscheiden: Entweder erlauben wir es dem Regime, an der Macht zu bleiben, mit dem Risiko, jede Spur eines demokratischen Prozesses in diesem Land zu verlieren - oder wir schließen eine Vereinbarung mit den Sozialisten. Ja, diese Zusammenarbeit wäre sechs Monate früher für uns inakzeptabel gewesen, aber die Entscheidung wurde schließlich gemeinsam mit den Mitgliedern der Partei getroffen, auch gemeinsam mit unseren Wählern. Wir haben lange nach besseren Lösungen gesucht, aber nach drei Monaten haben wir erkannt, dass es keine gibt.       

Zum ersten Mal waren sich die EU, Russland und die USA einig: Alle wollten, dass Plahotniuc auf die Macht verzichtet. Wieso glauben Sie, dass er und seine Partei plötzlich ohne jede Unterstützung aus dem Ausland dastanden? 

Ich denke, seine Aktionen und Entscheidungen waren in dieser ganzen Zeit so schlecht, dass sich Mächte gegen ihn zusammengeschlossen haben, die sonst kaum zusammenarbeiten - am wenigsten in unserer Region. Plahotniuc und all seine Lobbyisten konnten nicht mehr verstecken, wie schwerwiegend sein Machtmissbrauch war.   

Mir wurde auch in Brüssel gesagt, dass Plahotniuc das große Problem der Republik Moldau sei. Dort hieß es in Gesprächen: Solange ihr ihn nicht loswerdet, wird in der Moldau nichts Gutes passieren, es wird keine Perspektive geben.   

Finden Sie es nicht seltsam, dass mehrere zwielichtige Persönlichkeiten aus Ihrem Land, die seit den 1990er Jahren in Russland Zuflucht gefunden haben, heute sagen: Gut, dass wir Plahotniuc losgeworden sind, jetzt wollen wir nach Hause zurückkehren?

Mich stört das sehr, und es ist wichtig, dass wir die Staatsanwaltschaft möglichst schnell von angreifbaren, korrupten Mitgliedern befreien. An ihrer Spitze muss ein Generalstaatsanwalt stehen, der mit den Reformen beginnt und eine klare Botschaft hat: In der Republik Moldau werden Verbrecher bestraft.        

In letzter Zeit sind schockierende Details ans Licht gekommen über illegale Geschäfte beim Zoll und auch im Innenministerium. Auch der neue Vize-Premier und Innenminister, Ihr Parteikollege Andrei Nastase, sprach von mehr als 100 Angestellten des Innenministeriums, die während des Plahotniuc-Regimes vom Oligarchen Briefumschläge mit Bestechungsgeldern erhielten. Sind Sie sich bewusst, dass Ihnen ein Ministerium untersteht, dass sich de facto in eine kriminelle Gruppe verwandelt hat?  

Das überrascht mich im Grunde genommen nicht und ich denke, es gibt auch andere Institutionen, in denen hässliche Dinge passieren. Zum Beispiel gibt es staatliche Unternehmen, die bis vor kurzem Geschäfte von Plahotniuc finanziert haben. Jetzt sind wir mitten in einem Prozess des "Ausmistens", aber das ist sehr schwer, wenn die Staatsanwaltschaft nicht richtig funktioniert.

Der Generalstaatsanwalt Eduard Harunjen hat erklärt, er werde nicht freiwillig seinen Posten räumen. Wie werden Sie vorgehen?

Wenn er nicht geht, werden wir zu legislativen Mitteln greifen. Wir werden die gesetzliche Möglichkeit schaffen, dass sich der Generalstaatsanwalt für seine Handlungen und Versäumnisse verantworten muss. Und vor allem Versäumnisse gab es sehr viele: Zum Beispiel im Fall des Milliardenraubs aus moldauischen Banken (2014), als absolut nichts passierte. Alles wurde immer wieder aufgeschoben, bis sich das Geld so weit wie möglich von der Republik Moldau entfernen konnte. Vor wenigen Tagen habe ich mit Vertretern der internationalen Organisationen darüber gesprochen: Sie sagten mir, die moldauische Generalstaatsanwaltschaft habe sie nie um Hilfe gebeten bei den Ermittlungen im Fall dieses Milliardenraubs.