Das Weltsozialforum in der Krise?
10. August 2016120.000 Menschen kamen 2005 zum Weltsozialforum nach Porto Alegre. Es war der Höhepunkt einer Protestbewegung, die sich vier Jahre zuvor eben dort, in Süd-Brasilien, als Gegenentwurf zum Weltwirtschaftsforum von Davos formiert hatte.
Auch heute ist das Weltsozialforum noch das größte Treffen globalisierungskritischer Bewegungen. Unter dem Motto "Wir brauchen eine andere Welt" wollen sich zwischen dem 9. und 14. August 2016 rund 5000 globalisierungskritische Gruppen aus 110 Ländern vernetzen. Doch die Organisatoren erwarten gerade einmal 50.000 Teilnehmer. Hat der Kongress an Bedeutung verloren?
Funktion im Wandel
Nein, sagt Luise Steinwachs der deutschen Hilfsorganisation "Brot für die Welt", seine Bedeutung habe sich lediglich verändert: "Seit acht, neun Jahren hat es die Funktion als Gegenbewegung zum Weltwirtschaftsforum verloren. Heute ist das Weltsozialforum sehr viel stärker ein Raum für neue Ideen und kreativen Austausch der Aktivisten untereinander."
Damit, so Steinwachs, habe sich wahrscheinlich auch der Teilnehmerkreis im Vergleich zu den ersten Jahren gewandelt: Neben Fachleuten, die die Diskurse seit Langem prägten, nähmen mittlerweile auch viele junge Leute teil, die sich ausprobieren wollten.
Hinzu kommt wohl auch: Die Unterscheidung zwischen dem "Globalen Norden" und dem "Globalen Süden", die beim Weltsozialforum traditionell eine wichtige Rolle spielte, ergibt bei vielen aktuellen Themen keinen Sinn mehr. Terrorismus, Flüchtlingsströme, Klimawandel oder Steuerflucht - diese Herausforderungen müssen weltweit angegangen werden. Zudem gelten nicht mehr allein die wohlhabenden Staaten als Hauptverursacher der Probleme. Die Forums-Teilnehmer richten sich nun auch an Regierungen von Entwicklungs- und Schwellenländern, wie etwa China, das mittlerweile zu den größten Umweltverschmutzern gehört.
Hohe Kosten, schwierige Einreise
Ein weiterer Grund für die geringere Teilnehmerzahl ist in diesem Jahr offenbar auch der Austragungsort, die kanadische Stadt Montreal. Denn zum ersten Mal findet das Forum in einem Industrieland der nördlichen Hemisphäre statt. Die Unterbringungs- und Lebenskosten in Kanada sind deutlich höher als an den früheren Veranstaltungsorten auf der Süd-Halbkugel. Die regionale NGO-Szene etwa aus afrikanischen Ländern wird dementsprechend weniger stark vertreten sein. Es wird sogar damit gerechnet, dass der Großteil der Teilnehmer aus Kanada selbst anreist - viele gar aus Montéal stammen.
Rund 200 Teilnehmer sollen laut Medienberichten zudem kein Visum für Kanada erhalten haben - weil sie nicht genügend finanzielle Mittel für die Rückreise vorweisen konnten. Darunter befinden sich demnach auch sechs gewählte Parlamentarier aus Afrika und Asien.
Nicht nur Kritik am Veranstaltungsort
Luise Steinwachs von "Brot für die Welt" kennt das Problem. "Auch wir haben Partnerorganisationen, die ihre Pässe bei den Botschaften abgelegt, aber noch keine Rückmeldung haben, warum sie die Visa nicht erhalten haben." Dass Geld eine Rolle spielt, hält sie für unwahrscheinlich: "Bei den Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten, ist die Finanzierung üblicherweise geklärt."
Trotz aller Umstände befürwortet sie die Wahl Montreals als Veranstaltungsort: "Das macht deutlich, dass es nicht mehr die traditionelle Nord-Süd-Unterscheidung gibt, sondern dass wir im Norden inzwischen dieselben Prozesse erleben und daher auch Teil einer gemeinsamen Bewegung sind." Vor diesem Hintergrund sei es ein großer Fortschritt, dass Kanada eine große zivilgesellschaftliche Bewegung habe, die das Forum tragen könne und sich mit den Anliegen identifiziere.
Und letztendlich ist das Weltwirtschaftsforum trotz abnehmender Teilnehmerzahlen eine weltweit einmalige Einrichtung zur Vernetzung zivilgegellschaftlicher Akteure untereinander. Alle anderen zivilgesellschaftlichen Gipfel sind angedockt an Regierungsverhandlungen oder UN-Gipfel, wo das Gegenüber ebenfalls Regierungen sind.