„Der Kongo ist ein Land der Zukunft“
27. Dezember 2013
Um Frieden zu schaffen, setzt der frühere Büroleiter von Ex-Außenminister Joschka Fischer auf eine klare militärische Linie sowie eine Stabilisierung der staatlichen und zivilen Strukturen. "Die MONUSCO allein kann die Konflikte des Kongo nicht lösen“" bekennt der Pazifist. Aber auch: "Alle Probleme sind lösbar. Der Kongo ist ein Land der Zukunft." Das Exklusiv-Interview in Auszügen:
DW: Wie geht es mit dem Kampf jetzt weiter, nachdem die M23-Miliz besiegt ist?
Martin Kobler: Im Ostkongo gibt es die drei großen Gruppen: M23, die anti-ruandische FDLR und die anti-ugandische ADF-Nalu. Hinzu kommen schätzungsweise 40 größere Mai-Mai-Gruppen - Gruppen ohne politische Agenda, die aber die Bevölkerung terrorisieren. Insgesamt zählen wir 400 bis 450 kleinere bewaffnete Gruppierungen mit zum Teil nur 20 Mitgliedern. Es ist wichtig, dass man die großen Milizen bekämpft. Denn manche kleinere Gruppen haben sich nur gebildet, um die großen zu bekämpfen. Nächste Priorität ist für uns die anti-ruandische FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda - Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas, Anm. d. Red.). Es ist schwierig, sie in diesen Dschungelgebieten hier im Ostkongo aufzuspüren und zum Aufgeben zu bewegen. Das ist unser primäres Ziel: Sie davon zu überzeugen, dass sie die Waffen niederlegen. Aber wer sich nicht freiwillig entwaffnet, wird von der Interventionsbrigade mit Gewalt entwaffnet.
Mitte Dezember sind in zwei Dörfern bei Beni in Nord-Kivu - einem Gebiet der Miliz ADF-Nalu - über 20 Menschen getötet worden. Wie bekämpfen Sie solche Grausamkeiten?
Wir nehmen das sehr ernst. Der stellvertretende Kommandant der MONUSCO-Truppe und unsere Menschenrechtsabteilung waren dort, um das zu untersuchen. Es werden furchtbare Grausamkeiten berichtet: von 13-jährigen Mädchen, die vergewaltigt wurden, bevor sie enthauptet wurden. Dass Körper verstümmelt wurden, dass Babys in die Luft geworfen und aufgespießt oder in Bäume geworfen werden. Das werden wir nicht mehr tolerieren.
Woher kommt die Grausamkeit, wie Sie sie gerade beschrieben haben?
Massenvergewaltigungen werden als Mittel des Krieges eingesetzt. Damit sollen die Seelen der Frauen, der Familie und der ganzen Gemeinschaft zerstört werden. Es gibt zwei Null-Toleranz-Themen: Das eine sind Vergewaltigungen. Das andere sind Kindersoldaten. Kinder gehören in die Schule! Nicht auf das Schlachtfeld. Vor allem die großen Gruppen wie ADF-Nalu und die FDLR rekrutieren Kindersoldaten, unterziehen Achtjährige oder Neunjährige einer Gehirnwäsche. Das ist inakzeptabel. Diese Art von Kriegsführung ist besonders grausam. Kriegsführung ist für mich als Pazifisten grundsätzlich nicht in Ordnung. Aber Leute, die Kindersoldaten rekrutieren und Massenvergewaltigung begehen oder verantworten, müssen bestraft werden. Ich werde persönlich darauf achten, dass es keine Straflosigkeit gibt.
Sie waren, bevor Sie in den Kongo kamen, für die UNO in Irak und in Afghanistan. Sind Sie bei den Vereinten Nationen der Mann für Härtefälle?
Ich bin im Prinzip ein optimistischer Mensch und überzeugt: Es gibt kein Problem ohne Lösung. Insofern wird es auch eine Lösung für die ständig wiederkehrende Gewalt im Kongo geben. Der Kongo ist nicht im Fokus der Weltöffentlichkeit - und deswegen bin ich sehr gern gekommen: In den fast 20 Jahren des Krieges sind fünf oder sechs Millionen Menschen gestorben. Das ist inakzeptabel. Wir müssen das radikal angehen und brauchen dafür die Unterstützung der kongolesischen Regierung. Die Regierung möchte auch Stabilität und Sicherheit herstellen. Daher fahre ich, wenn ein Gebiet befreit ist, als erstes mit dem Provinzgouverneur in diese Gebiete - denn die Regierung hat die Verantwortung.
Was erwarten Sie dafür von der Regierung?
Der Kongo ist ein unsagbar reiches Land: Es gibt riesige Mineralien-Vorräte. In jedem Handy steckt ein Stück Kongo, weil die Leitmineralien gebraucht werden, um Handys zu produzieren. Auch in jedem Computer steckt ein Stück Kongo. Der Kongo ist ein Land der Zukunft: wegen der Bodenschätze, aber auch wegen der Bevölkerung. Überall, wo Sie hinkommen, gibt es junge Leute und Kinder. Zusammen mit der Regierung, glaube ich, wird es eine gute Zukunft im Kongo geben. Der Handel der Mineralien muss auf eine legale Grundlage gestellt werden.
Dazu - und weil die MONUSCO seit ihrer Gründung 1999 wenig erreicht hat - wollen Sie die MONUSCO umkrempeln. Was haben Sie vor?
Als ich vor vier Monaten zum ersten Mal nach Goma kam, haben die Menschen Steine auf mein Auto geworfen. Denn das Image der MONUSCO war schlecht. Wir hatten den Ruf, immer zu spät zu kommen und Grausamkeiten zuzulassen. Ich glaube, das hat sich in den vergangenen Monaten durch das neue Mandat geändert. Wir werden die Mission restrukturieren und mehr Personal in den Osten verlegen. Im Osten ist das Zentrum unserer Aktivitäten. Im Laufe des nächsten Jahres werden wir in drei Etappen ungefähr 1.000 MONUSCO-Posten von Kinshasa in den Osten verlagern. Das wird nicht einfach, aber es ist Teil der Strategie: Wir wollen da sein, wo die Leute uns brauchen.
Ich habe mit einigen Kongolesen gesprochen, die davon überzeugt sind, dass Sie dem Kongo Frieden bringen werden.
Diese Erwartungen muss ich etwas reduzieren: Mit 20.000 Soldaten und 5.000 Zivilisten können wir in diesem riesigen Land keinen Frieden bringen. Das geht nur gemeinsam mit den Menschen und der Regierung. Man braucht klare Linien. Wir haben eine ganz klare militärische Linie: Wer sich nicht freiwillig ergibt, wird bekämpft. Dazu kommt die zivile Komponente: die Stabilisierung - denn das "S“"in MONUSCO steht für Stabilisierung. Dazu zählen auch eine gute Regierungsführung und ein gutes Management der Mineralien. Manchmal hab ich das Gefühl, die Leute sind arm, weil das Land reich ist. Und es bedarf der regionalen Einbindung der Nachbarstaaten. Militärische und zivile Aktionen werden keinen Erfolg haben, wenn wir die Nachbarstaaten nicht einbinden.
27. Dezember 2013