Top-Unis im Netz
4. März 2013Professor Carlos Martinez ist unzufrieden. Der Elektroingenieur lehrt an der Universität von El Salvador, hält den Lehrplan allerdings für unzureichend. Gut, dass es da die Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology im US-amerikanischen Cambridge gibt. Das MIT gilt als eine der weltweit besten technischen Hochschulen. Ihre Forschung und ihr Wissen behält die Hochschule aber nicht für sich. Sie teilt es – mit allen, die Interesse haben.
Und so kann auch Professor Martinez aus El Salvador aus dem Vollen schöpfen: Er hat sich bei einem MOOC eingeschrieben. Beindruckt von dem, was er in diesem Online-Kurs gelernt hat, reiste der Professor durch das ganze Land und versuchte, seine Kollegen davon zu überzeugen, dass sich angesichts dieser Fülle an Wissen und Information ganz anders lehren lässt als bisher. "Die MOOCs fordern einen geradezu heraus, sein eigenes Wissensgebiet zu erweitern", so der Professor.
Fernuniversitäten und Online-Kurse gibt es schon seit Jahrzehnten. Aber je schneller die Internetverbindungen werden, desto mehr Inhalte können angeboten werden. Meist gibt es die MOOCs in Form von langen Videovorträgen, hinzu kommen Tests und Diskussionsforen – hier können die Teilnehmer selbst entscheiden, in welcher Form sie sich in das Kursangebot mit einbringen. Durch Blogbeiträge, Links oder auch eigene Videos können sie ihren Beitrag zu einem Thema leisten – andere Kursteilnehmer wiederum können das kommentieren oder erweitern. So entsteht ein immer größeres Wissensfeld, von dem auch immer mehr Menschen weltweit profitieren können. Der Ausbau des Netzes tut sein Übriges.
Bildung für Menschen mit Bildung
Die meisten und umfangreichsten Kurse werden von den großen Organisationen angeboten. "Coursera" beispielweise ist der größte MOOC-Anbieter; er arbeitet mit 62 Instituten weltweit zusammen. Am Programm "edX" sind neben der MIT auch die großen Universitäten Harvard und Berkeley beteiligt. Die erste hochschulübergreifende Plattform im deutschsprachigen Raum ist "OpenCourseWorld", beteiligt sind unter anderem die Uni Hamburg, die Technische Universität München, die Universität des Saarlands, sowie verschiedene deutsche Forschungseinrichtungen. Die meisten Kurse richten sich an Studenten und Akademiker. Das, so ein Kritikpunkt, kann die Verbreitung in Entwicklungsländern auch behindern.
Tony Bates ist Berater in Sachen Online-Hochschulbildung in Vancouver. Auch er sieht das Problem, dass viele Kurse nur für diejenigen konzipiert sind, die zu bestimmten Themen bereits ein großes Vorwissen haben. "Menschen in Entwicklungsländern, die Vorkenntnisse besitzen, können durchaus davon profitieren. Diejenigen, die nicht über eine solche Basis verfügen, können nicht mitmachen."
Parlez-vous MOOC?
Ein weiteres Problem ist die Sprachbarriere: Junge Studenten brauchen zumindest Anleitungen in ihrer Muttersprache. Die MOOCs aber sind zum größten Teil in englischer Sprache. Bates: "Wenn die MOOCs von den Elite-Unis der Vereinigten Staaten kommen, wird Sprache ein Problem."
Dennoch ist das Interesse an MOOCs nicht auf die englischsprachige Welt beschränkt. "Coursera" beispielsweise hat festgestellt, dass die erste Million ihrer Nutzer aus 196 Ländern kam: 38 Prozent aus den USA, fast 6 Prozent aus Brasilien, 5 Prozent aus Indien und sogar 4 Prozent aus China. "Coursera" und "edX" haben gerade angekündigt, dass sie demnächst nicht englischsprachige Kurse anbieten werden, in Zusammenarbeit mit Partnern in anderen Ländern.
Im Gegensatz zu anderen großen E-Learning-Anbietern geht die Khan-Academy in Kalifornien andere Wege: Sie richtet ihr Programm an Schulabgänger und zukünftige Studenten. Hier hat man beobachtet, dass viele ihrer Videos und Online-Tests aus dem Ausland abgerufen wurden. 2008 ist das Programm online gegangen. Es wird von Google unterstützt und erhält Mittel aus der Bill and Melinda Gates-Stiftung. 2012 war es für den BOBs Award nominiert, dem Deutsche Welle-Preis für Online Aktivismus.
"Flipped Classroom" – Unterricht mal andersrum
"Die Übungen, die an die Videos angehängt sind, nutzen den Studenten viel mehr, als wenn sie ein Lernvideo nach dem anderen durchackern müssen, weil sie viel praxisgebundener sind", meint UNESCO-Bildungsexperte Steve Vosloo, der 2012 Mitglied der BOBs-Jury war. "es ist ein schönes Beispiel für "Flipping the Classroom" und hat Modellcharakter für ein System, das weltweit genutzt werden kann."
Der "Flipped Classroom" ist ein englischer Begriff für "umgedrehten Unterricht": Die Lehrer stellen ihr Material in Form von Videos zur Verfügung. Die Schüler gucken sich das zu Hause an und erarbeitet wird das Ganze dann wieder in der Schule. Unterricht und Hausaufgaben werden also vertauscht.
Eine wertvolle Zeitersparnis sei das, findet auch Christian Spannagel, Professor für Mathematik-Didaktik an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg: "Ich sehe es schon lange nicht mehr ein, weshalb ich 200 Menschen zusammenrufen soll, um einen Vortrag zu halten, den ich schon ein paar Mal gehalten habe", schreibt er in seinem Blog. "Warum sollen alle Studierenden gemeinsam in einem Raum zusammen kommen, um sich kollektiv in den Rezeptionsmodus zu begeben? … Wäre es nicht besser, dass wir – wenn wir schon mal alle zusammen in einem Raum sind - uns dann direkt miteinander austauschen?"
Mehr Wissen ohne Schule
Doch auch die größten MOOC-Befürworter wissen, dass das Angebot letztendlich doch nur begrenzt ist. Weil so viele Menschen an den Kursen teilnehmen, ist die Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden schwierig. In einigen Fällen aber klappt es hervorragend:
In El Salvador hat Professor Carlos Martinez einen 16-jährigen Schüler, der sich in einen Kurs eingeschrieben hat, nachdem er von dem MOOC-Angebot des MIT gehört hatte. Der Mathematik-Schüler hat dort Analysis, eine Mathematik-Disziplin, erlernt, die an den höheren Schulen von El Salvador nicht gelehrt wird. "Er interessiert sich für Elektronik, möchte auch ins Ausland reisen, aber dafür hat er kein Geld", so Professor Martinez, "Aber er will lernen und hätte gerne ein Stipendium, damit er im Ausland studieren kann. Mit Hilfe der MOOCs kann er das auch erreichen."